Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Archive for Januar 2011

Un- and Overbanked: Milliardenmarkt für Social Media?

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Die wichtige Rolle, die Social Media bei den sonst so „zugeknöpften“ Banken spielt, lässt sich an der morgen in London statt findenden Finance Innovate, kurz Finovate ablesen – über die ich  noch ausführlich berichten werde.

Schließlich gingen aus den unzähligen Start ups, die dort ihre Konzepte präsentieren, einige Highlights in der „Finance 2.0“ hervor. Manches Start up muss sicherlich die Segel auf rauer See wieder einziehen. Aber es gibt auch Erfolgsbeispiele, obwohl es sich beim Thema Social Media und den Banken so ähnlich verhält wie mit dem Sex: Je mehr darüber geredet wird, umso weniger passiert. 

So hat es der Anbieter von Personal Finance Management Mint.com immerhin schon bis ins „Weiße Haus“ geschafft, mehr zu der Aktion lässt sich auf dem Weblog von Mint nachlesen. Die Facebook-Community mit über 83.000 Fans ist nicht gerade vernachlässigenswert, auf Twitter sind es noch mehr Follower, nämlich 143.000.

Auf der Finovate in London vertreten ist auch die Münchner Fidor Bank, über deren innovatives Payment-System sich auf dem Weblog lorenz.bz genaueres erfahren lässt.  Derartige Beispiele zeigt, die Welt von Social Media verändert die Wirtschaft, in einem schleichenden Prozess, der bei vielen noch gar nicht auf dem Radar angekommen ist. Welche Rolle spielt also „Social Media“ in der Bankenszene? 

US-Experte Brett King verweist in einem seiner bilanzierenden Beiträge über die Zukunft des Bankwesens auf neue Spieler für „bank- und kontolose“ Menschen wie Elastic und Banksimple. Ein Auszug:

In September of 2010, Think Finance secured $90 million in start-up funding for their Elastic web-based bank account replacement. Elastic’s services to the underbanked will somewhat overlap with BankSimple’s approach to online banking. But, the CEO of Think Finance, Ken Rees, doesn’t see BankSimple as competition.

“We celebrate all of the innovators in the space that use technology for banking purposes. They [BankSimple] are more focused on the needs of prime consumers. We’re focused on the underbanked and unbanked — the estimated 60 million people who are not well served by traditional banks,” says Rees.

As reported in Mashable

Jack Dorsey at Square is catering for a gap in bank service performance demographics also. Dorsey is aiming Square at the approximately 30 million small business owners in the US that don’t have a merchant account or credit card terminal. With only 6 million businesses in the US that can currently accept credit card payments, this shows there is huge growth potential for thinking outside of the box in respect to banking and payments models.

Was folgt aus den Ausführungen von Brett King? Ganz einfach: Den rhetorischen Nachweis, dass jede Bank letztlich eine „Social Bank“ darstellt, tritt Jay Deragon mit Hilfe der Relationship Economy an. You are a Social Bank. Die Kernthese seines Blogeintrags:

What do banks do? They manage relationships, transactions and the more they manage the more they make. ….

Currency is a medium of exchange and as such as long as a buyer and seller agree on the value of something then the exchange represents a currency, call it social, goodwill or any damn thing you want to… it is an exchange of value.

Auch die Bedeutung von Social Media wird in diesem Kontext deutlich:

Communications is what social technology are all about — it drives all currency. Communication is the economy. Communications are the foundation of all economic systems. All currency are built on social systems. Social media are communications, the new economy.

Und es gibt noch mehr Experten, die den indirekt „sozialen“ oder einfacher ausgedrückt „verbindenden“ Charakter von Geld immer wieder betonen, wie der britische Finanzblogger Chris Skinner. Siehe dazu etwa den Beitrag A new banking system for social life, oder den Artikel The social construction of technology.

Auch Boris Janek von Finance 2.0 greift die sozial-kommunikative Facette des Geldes mit Blick auf die Banken immer wieder auf, so etwa in dem Beitrag Technologische Herausforderungen – Menschliche Technologien. Darin wird auch Ron Shevlin mit folgender Aussage zitiert:

Social networking integration. Credit unions that focus exclusively on what to do with Facebook and/or Twitter will miss the boat. The future of member-facing technologies is about integrating social media tools and technologies into existing processes and sites.

Was folgt daraus? Sollen wir „Facebook-Banken“ lieben lernen? Welche Rolle spielen neue Technologien, Plattformen und soziale Kommunikationsinseln bei den Veränderungen von unten in der Bankenwelt?

Zunächst ist die Gruppe der „Banklosen“ definitiv nicht im Fokus der Innovationstreiber. Denn es munkelt in der Branche vor allem um die neuen internetaffinen Gruppen, die man getrost als künftige Gestalter von Wirtschaft und Gesellschaft einstufen darf. Sie setzen die Trends, mitunter auch für die vermögendere Klientel.

Wie „soziale“ Medien die Bankenwelt verändern werden, das beleuchtet US-Experte Brett King in einem Gastbeitrag auf dem relativ neuen Bank-Blog von Hansjörg Leichsenring, einem Unternehmensberater mit einschlägiger Erfahrung im Bankensektor. 

Dazu eine kleine Zwischenbemerkung: Die Zahl der „Finance 2.0-Blogger“ wächst also weiterhin,  Vertreten ist ein buntes Spektrum, von Journalisten über Unternehmensberater, der Social Media Szene, Leute aus dem Umfeld von NGO’s und sozialen Einrichtungen, bis hin zu anderen, die sich für die Zukunft des Finanzwesens im und außerhalb vom Netz interessieren.

Die Zahl derer, die die Stimme erheben, wächst weiter, und je bunter und vielfältiger die Auseinandersetzung und das Meinungsbild, umso mehr Auswahl haben die Leser. Nun aber wieder zurück zum Thema: Es gibt schon so etwas wie einen Weckruf für Bankvorstände, wie es Brett King ausführt.

Zwar schwingt hier ein bisschen der typisch amerikanisch angeauchte Pathos für Social Media mit, denn die vermögende Generation 50 Plus X ist bislang ganz gut ohne derartige Kommunikationswerkzeuge gefahren. Nun aber muss die Bank umdenken, so die These nicht nur von Brett King.

Denn die künftigen vermögenden Kunden auch jenseits der Altersgrenze von 35 Jahren erwarten  gewisse Standards, bei dem die Bank sich auf Augenhöhe mit dem Kunden zum Dialog verabredet. Die Umsetzung aus den zähen Mühlsteinen des Bankwesens heraus ist allerdings sehr mühevoll.

Manche aus der Bankenszene würden das Web 2.0 lieber verbieten, so gehört und berichtet im O-Ton auf einer der führenden letzten Bankkonferenzen in Frankfurt. Mit wortgewaltigen Aussagen, auch ihr Banker braucht doch Social Media zum Überleben, kommt man also hier nicht viel weiter.

Denn letztlich bedeutet Social Media zunächst einen Margen- und Machtverlust, den die Bank eingehen muss. Das ist also ein „erklärungsbedürftiger“ Schwenk in der Unternehmensphilosophie. Umso besser, dass die klassischen Banken zu diesem Paradigmenwechsel auf den Kunden zu gar nicht in der Lage sind, sagen jetzt die neuen Spieler aus der Finance und Bank 2.0, denn dann haben sie mehr Platz zum Wachsen. Weil sie nicht kopiert oder vereinnahmt werden können von den Arrivierten. 

Machen wir uns trotzdem nichts vor: Welche Bank verzichtet schon freiwillig auf Gewinn, wenn sie nicht dazu von außen gezwungen wird? Oder gibt es jemand unter den Lesern, der den „ROI“ dieses vorzeitigen „einseitigen Verzichtserklärung“ via Social Media genau herausrechnen und taxieren kann?

Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille: Wenn die Bank weiter in der Ecke wie ein angeschlagener Boxer stehen bleibt, wird sie bald schon zum Auslaufmodell gehören. Und dann wird es richtig teuer.

Aber auch dieses Damoklesschwert beim Beratergespräch von außen auf den blank polierten Glastisch zu packen, bringt uns meist nicht allzu viel weiter. Der Rubel, pardon Dollar an der Wall Street und Co., er rollt längst wieder. Die Sinnkrise ist quasi ausgestanden, doch das Bauchgrummeln bleibt, wie Marc Pitzke (Spiegel) von der Börsenfront berichtet.

Kommen wir zum Punkt: Es erfordert eine komplett andere Art der Unternehmenskultur, wenn die Bank sich via Social Media mit den Kunden zum beiderseitigen Vorteil verabredet. Im Klartext: Da müssen nicht nur die Produkte stimmen, also tatsächlich „kundenfreundlich“ sein, sondern auch die Mitarbeiter entsprechend belohnt werden -, weil sie gut beraten, statt nur die Bank gut zu verkaufen (und damit auch den Kunden mehr oder minder elegant aufs Glatteis zu führen, weil es dort die meisten Provisionen zu verdienen gibt).

Der Interessenkonflikt zwischen Kunde und Bank kann also nur aufgehoben werden, wenn die neue Führungskultur 2.0 in der Bank dies beabsichtigt. In meinem Fachartikel in der Dezember-Ausgabe von die bank habe ich die für den Transformationsprozess erforderlichen Qualifikationsprofile beim Social Media Management ausführlich beleuchtet:    

Erstens: Eine hohe Affinität zur zwischenmenschlichen Kommunikation ohne Hierarchiegefälle. Zweitens: Die besondere Fähigkeit, spielerisch elegant und gleichzeitig glaubwürdig mit Kritik zu jonglieren. Drittens: Ein rasches, situativ angemessenes Reaktionsvermögen auf neue Trends. Viertens: Hinzu tritt ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz bzw. Empathie, was sich nur bedingt durch theoretische Auseinandersetzung erwerben lässt. In diesem Zusammenhang kann es sinnvoll sein, in der Leitungsfunktion auf einen Experten oder eine Expertin im mittleren Alter zu setzen, der/die gleichzeitig aufgeschlossen für neue Ideen ist, jedoch auch eine große Standfestigkeit und ein ansehnliches Erfahrungsreservoir mitbringt bei der Umgestaltung und Weiterentwicklung von betrieblichen Prozesslandschaften.

Denn allein mit der hoch getakteten Netzwerkaffinität, die in der Regel eher jüngeren Social Media Managern zugewiesen wird, lassen sich die vielschichtigen Herausforderungen in der Bankenwelt kaum bewältigen. Übertriebene operative Hektik und ein „Überspielen“ der sozialen Interaktionskanäle mit den eigenen Botschaften des Unternehmens löst den gordischen Knoten zwischen Social Media Management und Marketing nicht auf. Stattdessen besteht die Hauptaufgabe darin, im Design ansatz ergebnisoffene Strategien für das Management von dezentralen Netzwerkeinheiten zu entwickeln, etwa indem sich ein Corporate Weblog jenseits von Marketingversprechen als innovativer Problemlöser am Markt für hoch spezialisierte Finanzprodukte und Anlagestrategien positioniert.

… Die positive Folgeerscheinung eines umsichtig und sorgsam agierenden Social Media Managers zöge ein verändertes, deutlich offeneres Darstellungsprofil der Bank nach sich, statt einer vom Nutzer oftmals als „Black Box“ wahrgenommenen Institution, bei der sich alle wichtigen Entscheidungen hinter den Kulissen abspielen. Demgegenüber rücken durch den Social Media Manager auch Kundenberater „zum Anfassen“ nach vorne, die mit ihrer offenen Visitenkarte überzeugen und punkten. Das Bindeglied dazu stellen schließlich gerade jene sozialen Medien und Netzwerke dar, mit deren Hilfe das Team durch bewährte Praktiken und Programme eine produktive Brücke zwischen der Innenwahrnehmung und der Außenwelt schlagen kann.
 

Quelle: Lothar Lochmaier/die-bank.de

Wir bilanzieren: Resultierend aus den strukturell hier nur kurz angedeuteten Entscheidungsszenarien, die schmerzliche Einschnitte in die statische Hierarchielandschaft bedeuten müssten, ergäbe sich – positiv ausgedrückt – durchaus ein akzeptabler „Return-on-Invest“, also eine Art geistiger Kapitalrendite.

Aber auch dieses Rechenexempel darf keine optische Schönrechnerei beinhalten, sondern sollte sich den folgenden Herausforderungen stellen:

erfolgsmessung

Ausblick: Themen, Termine und Trends

Wieviel Social (Banking) Media braucht und verträgt die Bank? Ich werde zu diesem Thema in diesem Jahr auch wieder einige Vorträge halten und hoffentlich spannende Gespräche führen. Vertreten bin ich etwa mit einer Keynote auf der Testing & Finance am 9. Mai in Bad Homburg. Oder auf der BIT 2011 in Wien am  5./6. Mai.  Oder bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Preisverleihung zum Finance Blog 2011 in Frankfurt am  13. April. Bei all diesen Veranstaltungen wird es auch um das oben gerade skizzierte Themenfeld „Social Media (Banking)“ gehen.

Es gibt aber auch noch einen breiteren Themenfokus rund um die Banken. Dabei wird künftig in der Gesellschaft auch die Rolle der öffentlichen Meinungsbildung künftig heiß zu diskutieren sein.

Welche Rolle etwa spielt die PR nach (oder besser am Ende der Weggabelung) der Ära der klassischen Medien? Dazu werde ich auf der Konferenz des Fachmagazins PR Report am 5. Mai einen Vortrag halten. Thema: Wirtschaftsjournalismus in der Krise?   

Weitere Termine werden folgen. Es gibt also reichlich Gelegenheit und Stoff zum Austausch und zur angeregten Diskussion.

Written by lochmaier

Januar 31, 2011 at 8:27 am

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Finance Blog Awards: Rege Diskussion um Wettbewerb von Smava und Comdirect

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Auf dem Bloggerforum Wirtschaft verabredet sich die „Szene“ zur Diskussion um die beiden Wettbewerbe von Smava und comdirect. Nachdem ich den Wettbewerb von comdirect bereits ausführlich vorgestellt habe, hat kurz danach auch Smava turnusgemäß zum dritten Mal seinen eigenen gestartet. 

Alle weiteren Infos finden Interessierte auf dem Smava-Blog. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit in der Szene. In beiden Wettbewerben ist passend dazu je ein Blogger in der Jury vertreten, bei comdirect ich selbst – und bei Smava Dirk Elsner vom Blicklog. Der Börsenblogger titelt passend dazu: Auszeichnungen buhlen um Wirtschaftsblogger.

Natürlich kann der Social Lending Anbieter Smava es in punkto Preisgeld nicht ganz mit einer Direktbank bzw. einem Online-Broker aufnehmen. Aber darauf kommt es gar nicht an. Jeder sportlich veranlagte Finanzblogger wird beide Chancen zu nutzen versuchen, sofern man auf Preise, die freilich so mancher eher für „Schall-und-Rauch“ hält, überhaupt steht.

Aber es geht für engagierte Online-Poster auch darum, einen nicht nur geistigen Schub nach vorne zu erhalten, und da kann ein bisschen Geld schon helfen, nicht ganz aus der Puste zu kommen. Denn das Netz ist schnelllebig. Hinzu kommt, dass bei Wirtschaftsblogs erheblich höhere Einstiegskriterien für den Erfolg herrschen als bei anderen Blogs, die einen breiteren Themenkreis abdecken.

Wirtschaft ist nicht gerade leicht verdaulich – und so herrscht auch unter den Finanz- und Wirtschaftsbloggern ein hohes Spezialistentum, das die Vernetzung erschwert. Denn jeder hat meist sein eigenes Steckenpferd, das er bearbeitet, und das sich kaum aktuell mit dem von anderen verbinden lässt. Jedoch werden sich auch künftig deutlich mehr Schnittstellen ergeben.

Wie man als Wirtschaftsblogger bekannt wird, diesem diffizilen Thema widmet sich auch Robert Basic mit Blick auf die beiden Awards. Der lebendige Austausch über die Kriterien, wie man als Blogger gerade mit der doch ach so kompläxen – und bei den meisten Deutschen (im Detail) äußerst ungeliebten – Wirtschafts- und Finanzwelt bei den Lesern punkten soll, der steht freilich noch aus.

Oder haben wir es hier doch mit einer kleinen, mal feinen, mal sozial ausgegrenzten Randgruppe von Finanz- und Wirtschaftsnerds zu tun, die es so freilich in der Schwarz-Weiß-Malerei gar nicht gibt?

Written by lochmaier

Januar 30, 2011 at 10:50 am

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Ägypten: 80 Millionen Menschen erfolglos vom Internet gekappt

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Seit Jahren schreibe ich immer wieder über Themen rund um IT-Security und Datenschutz. Das Kappen des Internets in Ägypten ist natürlich ein bislang einzigartiger Vorgang. Aber er überrascht auch nicht, denn die Mächtigen dieser Welt fürchten die freie Meinungsäußerung – manche würden jetzt sagen das Chaos – mehr als der Teufel das Weihwasser.

Ich selbst möchte hier jetzt keinen allgemein gültigen Erklärungansatz abliefern, sondern nur ein paar Querverweise an die Leser weiter reichen, um sich ein Bild im Dickicht der derzeitigen Geschehnisse zu machen. IT-Security-Spezialist Rik Ferguson von Trend Micro berichtet aktuell über die Hintergründe.

Seit vergangener Nacht ist Ägypten vom Internet weitgehend abgetrennt. Etliche Internet Service Provider (ISPs) sind komplett unsichtbar, darunter LINKdotNET, RAYA Telecom, Internet-Egypt, Vodafone-EG und IDSC. Und auch die Verbindung der anderen ISPs ist deutlich eingeschränkt. Der einzige Diensteanbieter mit weiterhin hundertprozentiger Verfügbarkeit scheint Noor Data Networks zu sein (Ob es am Namen liegt? Denn „Noor“ ist der ägyptische Begriff für „Licht“).

Selbst die National Telecoms Regulatory Agency ist im Augenblick nicht erreichbar, wie auch die meisten der wichtigen Nachrichtenstellen sowie offiziellen und inoffiziellen Informationsquellen. Das auf IT-Sicherheit spezialisierte SANS-Institut berichtet, dass externe Zugriff zur Namensauflösung der Internetadressen in der .eg-Domäne nicht möglich ist.

Da all dies fast zur selben Zeit geschah, besteht Grund zur Annahme, dass die Trennung vom Netz Teil einer offiziellen Taktik ist, um die wachsenden politischen Unruhen im Land einzudämmen. Die Gegenmaßnahmen begannen mit der Zensur der sozialen Netzwerke im Land, aber wie die Erfahrungen im Iran lehren, finden entschlossene Menschen schnell Mittel und Wege, diese Einschränkung mit der Hilfe von außen zu umgehen.

Falls also die aktuelle Aktion von offizieller Seite gesteuert wird, hat es den Anschein, dass das Regime in Ägypten aus den Erfahrungen im Iran, die Kommunikationswege zu unterbrechen, gelernt und noch drastischere Maßnahmen ergriffen hat. Die Aktion ist beispiellos in der Geschichte des Internets.

Zurzeit ist Ägypten tatsächlich vom Internet abgetrennt und es gibt bereits hie und da Berichte, dass ähnliche Aktionen bei den mobilen Telefonnetzen unternommen werden, um die Sprach- und Textkommunikation zu unterbrechen.

Es ergingen bereits Aufrufe an Amateurfunker, der ägyptischen Bevölkerung Unterstützung dabei zu leisten, mit der Welt wieder in Verbindung zu treten und zu kommunizieren.

Soweit ein erstes Lagebild aus Sicht von IT-Security-Experten . Welche Alternativen gibt es? Es kursieren Gerüchte, dass Wikileaks und Co. sich anschicken, hier alternative Strukturen und Kommunikationsmöglichkeiten auf die Beine zu stellen. Auch das wäre ein einmaliger Vorgang in der bisherigen Geschichte des Internets.

Konkret ausgedrückt dürfte es sich dabei aber eher um eine Art alternativer Nachrichtendienst handeln, denn auf den Wikileaks-Seiten kursieren derzeit eine ganze Reihe von Depeschen, die allesamt Ägypten zum Gegenstand haben.  

Die WELT berichtet parallel dazu am Freitag nachmittag, dass Millionen Ägypter derzeit bereitstehen, um die Proteste auszuweiten. Auch im Netz kursieren zudem zahlreiche Videos, die jetzt zum Umsturz des Mubarak-Regimes auffordern. Die nächsten Tage werden entscheidend sein, auch wenn es mittelfristig darum geht, ähnlich wie in Tunesien und anderen Ländern, produktive Alternativmodelle zu etablieren.

Ägypten – ein Land wird vom Netz getrennt, berichtet die Süddeutsche Zeitung.  Mehr Infos dazu finden sich auch auf dem Renesys-Blog. Updates dazu gibt es auch auf der deutschen Seite von Netzpolitik.org. Und noch näher dran an den Livegeschehnissen ist das Weblog Readers Edition, etwa mit dem Beitrag Twitter von den Dächern 

Fazit: Wer glaubt, indem er das Internet verbietet oder gar kappt, er erreicht dadurch irgendetwas, wird rasch eines Besseren belehrt werden. Denn manche Dinge schaukeln sich erst richtig nach oben, weil und wenn sie verboten sind.  Das verleiht jeder Protestbewegung richtig Flügel, unabhängig davon, was sich hernach als Alternative etablieren mag.

[Update am 30.01.]: Heise online vermeldet, Amnesty International übe scharfe Kritik am Mobilfunkanbieter Vodafone, der quasi in voraus eilendem Gehorsam sich zum Mitblockierer der Kommunikation zwischen den Bürgern aufgeschwungen habe.

Mittlerweile haben sich die Unruhen ausgeweitet, auch andere Länder sind von der teilweisen Internetsperrung betroffen wie etwa Syrien.  Doch ist und bleibt die Lage vielerorts unklar, ob es sich dabei um eine „Zeitungsente“ handelte, wie hier auf Netzpolitik.org nachzulesen. Trotzdem kann man wie die Berliner Umschau titeln: Twitter und Facebook als die Staatsfeinde Nr. 1 in der arabischen Welt?

Seit Wikileaks dürfte jedem klar sein, Machtkämpfe verlagern sich auch ins Netz. Nachdem Google und die Mächtigen in China sich schon vor einiger Zeit ins Gehege kamen, nachdem im Iran die Regierung die Opposition auch noch – trotz des Internets – kontrollieren kann, gibt es nun also eine neue und einzigartige Facette, dass das Internet sich tatsächlich auch zum realen Schauplatz von Auseinandersetzungen entwickeln kann.

 

Written by lochmaier

Januar 28, 2011 at 3:33 pm

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Doktor Spar: Röntgenblick (1) auf die Facebook-Aktie

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Würden Sie eine Facebook-Aktie kaufen, um finanziell zu gesunden? So lautet die Eingangsfrage meines „zweiten Ichs“. Gemeint damit ist die Kunstfigur Doktor Spar, mit deren Hilfe ich gelegentlich – oder wenn grad was Wichtiges passiert – ein spezielles Thema beleuchte.

Dies geschieht in Form eines kurzen Video-Kommentars, mal etwas strukturiert, oder ein anderes Mal eher spontan und ohne jeglichen geistigen Filter. Ansonsten hat eine Arztpraxis ja optisch gesehen etwas  Steriles und Schmuckloses an sich. Das ist durchaus beabsichtigt.

In seiner Geldpraxis versucht Doktor Spar nämlich mit dem ultimativen Röntgenblick dem „Kleingedruckten in der großen Finanzwelt“ auf die Spur zu kommen. Das geschieht allerdings nicht ganz so düster wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Jedoch kann man vielem, was sich in den Parallelwelten unseres Finanzuniversums ereignet, nur mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen, so wie es eben das untrügliche Röntgegenbild eines Arztes versinnbildlicht – oder zumindest glauben machen soll.  

Passend dazu habe ich mir ein seriöses Outfit zugelegt, für das Alter Ego von Social Banking 2.0 alias Doktor Spar, da man Politikern, Managern, Marktanalysten, Journalisten und natürlich Bloggern sowieso nichts (mehr) glaubt. Aber wenn Ärzte einem den nüchternen Befund auf dem Silbertablett präsentieren, dann hört man zu.  

Kurzum, wir leben in einer „Inszenierungsgesellschaft“, die die Fundamente unserer Gesellschaft nachhaltiger umkrempelt als dies viele glauben.  Und deshalb soll Doktor Spar ab und zu in einer bilanzierenden Rück- und Vorausschau auf zentrale „Schlangenlinien“ in der Banken- und Finanzwelt verweisen.

Und zwar ohne dabei in konkrete Anlageempfehlungen zu der bunten Welt der Finanzprodukte abzugleiten, also „Insidertipps“ zu geben, wie sie ihr Geld möglichst renditeträchtig und sicher mit dieser oder jener Variante anlegen können. 

Wieviel Geld ist Facebook an der Börse wert?

Sicherheit und Renditestreben als eierlegendes Huhn, funktioniert dieses kaum miteinander vereinbare Geschäftsprinzip auch im Falle des für das kommende Jahr geplanten Börsengangs von Facebook? Es ist viel Hype in diesem Markt der sozialen Netzwerke, aber es steckt auch einiges Potenzial darin. Auch für geschäftliche Möglichkeiten. Die nahe Zukunft wird uns die Antwort geben.

Fest steht aber schon heute: Nicht jedes Spiel in der großen wie kleinen Finanzwelt wird so ohne weiteres mehr funktionieren, denn seit der Finanzkrise hat sich die Zahl der kritischen Beobachter auf das Bank- und Geldwesen vergrößert. Also – Bühne frei für den virtuellen Arztbesuch.

Zu Risiken und Nebenwirkungen kontaktieren Sie bitte nicht Ihren Finanz- und Anlageberater, sondern fragen Sie lieber gleich bei Doktor Spar nach:

Ausführliche Artikel zu diesem informellen Börsenkommentar „Röntgenblick (1) auf die Facebook-Aktie“ finden Sie unter folgenden Links auf diesem Weblog:

Facebook: Wieviel ist das kommunikative Betriebssystem des Netzwerkzeitalters wert?

Bangladesh lauert überall: Wenn der Kleinanleger in die dunkle Börsenröhre schaut 

AWD: Wie seriös ist der Finanz(eigen)dienstleister?

Virtuelles Finanzorakel: Wenn Twitter die Börsenkurse richtig voraus sieht 

Zum Unternehmenswert von Facebook siehe außerdem meine ausführliche Analyse auf Heise Telepolis:

Facebook-Deal: Wie viel Geld und Reputationskapital ist der Branchenprimus des Netzwerkzeitalters tatsächlich wert?

Und die Rolle von Plattformen wie Wikileaks habe ich hier ausführlich unter die Lupe genommen:

Bankenhierarchie im Fokus der Netzaktivisten 

Written by lochmaier

Januar 27, 2011 at 8:10 am

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Finanzblog Award: Vom Schattendasein ins Rampenlicht?

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Haben Finanzblogs das Potential, vom Außenseiter zu den Vorreitern in einer vernetzten Medienwelt heran zu reifen? Denn wer die aktuelle Mindmap beim Blicklog vom Januar 2011 studiert, wird feststellen, dass die Zahl der Wirtschafts- und Finanzblogs weiter wächst.

Von einer Revolution oder gar Etablierung eines neuen Medienformats zu sprechen, erscheint allerdings verfrüht. Dennoch: Die Szene der klassischen Wirtschaftsberichterstatter, Marktanalysten und Finanzpropheten wird durch die einschlägige Blogosphäre bunter, vielfältiger, mitunter auch erheblich detailreicher und kritischer.

Das ist auf alle Fälle eine gute Nachricht, für eine „Umsonst-und-Kostenlos“ Kultur der Nachrichtenverbreitung im Netz, die man bis dato immer noch als eine vernachlässigbare Größe ansehen darf, wie ich es  bereits des öfteren aufgezeigt habe.

Nun aber zum eigentlichen Thema. Die Direktbank comdirect Bank AG lobt erstmals den  Finanzblog-Award aus. Dies lässt erkennen, dass die Finanzblogger erst genommen werden.

Mitmachenbild

 Hier die offizielle Ankündigung der Veranstalter comdirekt Bank AG:

Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Privatanleger finden nützliche Informationen zu Strategien, Märkten und Produkten zunehmend im Internet. Dabei kommt Weblogs eine wachsende Bedeutung zu. Viele Blogs beinhalten qualitativ hochwertige Informationen und schaffen gleichzeitig Raum für inhaltlichen Austausch und Diskussion. Allerdings erscheint die Blogosphäre im Vergleich zur klassischen Medienlandschaft noch unübersichtlich. Gute Weblogs zu Finanz- und Anlagethemen sind nicht immer einfach zu finden und manchmal eher „Geheimtipps“.

Um dies zu ändern und hervorragenden publizistischen Leistungen auch außerhalb der Blogosphäre zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, wird 2011 erstmals der comdirect finanzblog award vergeben. Eine unabhängige Jury zeichnet Weblog-Betreiber und -Autoren aus, die Privatanleger verständlich, kompetent und kritisch informieren und ihnen somit eine Orientierung in der komplexen Welt der Finanzen bieten.

Wer sich als schon seit längerem aktiver Finanzblogger bewerben will, sollte sich auf folgendes Profil einstellen:

Bewertet werden insbesondere folgende Aspekte:

  • Qualität der Texte
  • Sprache und Inhalt
  • Gestaltung
  • Service
  • Gesamteindruck

Ebenfalls fließt in die Bewertung der Blogs ein, ob allgemeine journalistische Standards eingehalten, Anforderungen an Finanz- und Anlagethemen erfüllt sowie vorhandene Darstellungsmöglichkeiten im Internet genutzt werden.

Quelle: finanzblog-award.de

Die Preise Eins bis Drei sind mit 3.000, 2.000 und 1.000 Euro dotiert, dazu gibt es einen optionalen Sonderpreis mit ebenfalls 1.000 Euro. Ich selbst habe mich dazu bereit erklärt, in der Jury mitzuarbeiten.

Überzeugt hat mich der durchdachte Kriterienkatalog zur Preisvergabe. Als Vertreter der weit verzweigten Blogosphäre sehe ich meine Aufgabe darin, nicht nur meine konkreten Erfahrungen als Blogger einfließen zu lassen, sondern der „Sphäre“ eine Stimme und Gewicht zu verleihen.

Der Finanzblog-Award kann aus meinem Verständnis heraus dazu beitragen, eine vernachlässigte informelle „Mediengattung“ vom Schattendasein stärker ins Rampenlicht zu befördern, was zur weiteren Professionalisierung der bunten Szene beitragen könnte. Denn „die“ Blogosphäre kann die Leser letztlich nur mit hoher Qualität, Fleiß, Leidenschaft, aber auch einem gehörigen Maß an Disziplin, binden.

Darüber hinaus könnten sich die arrivierten Türwächter in der Medienwelt durch vorsichtige  Aufnahme der Neumitglieder aus der finanziellen Blogosphäre selbst wieder mehr frisches Leben und Vielfalt einhauchen. Kurzum, es braucht eine Medienwelt, in der Fachzirkel sich nicht nur  selbstreferenziell zu vorherseh- und austauschbaren Analysen verabreden, sondern in dem neue Plattformen zu einem vielschichtigen Bild über die Finanzwelt beitragen.

Wenn mit Hilfe von Finanzblogs ein besser informierter und in finanziellen Dingen aufgeklärter Verbraucher heraus käme, dann hätten die Blogger ihren kleinen Beitrag dazu geleistet. Wer möchte, der sollte also teilnehmen, um sich der sportlichen Herausforderung zu stellen, durch den Preis in den Genuss einer „mentalen Anschubfinanzierung“ zu gelangen. Damit die Puste beim Bloggen nicht gleich wieder ausgeht. 

Written by lochmaier

Januar 24, 2011 at 9:56 am

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Virtuelles Finanzorakel: Wenn Twitter die Börsenkurse richtig voraus sieht

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Wer meinen Beitrag auf Heise Telepolis zum virtuellen Finanzorakel Twitter noch nicht gelesen hat, für den gebe ich nun meine dem Blogging-Telegrammstil gestundete Verbalfassung wieder.

Dazu gibt es gratis, wie kann es auch im Netz sonst sein, ein Interview mit einem amerikanischen Wissenschaftler, der weiß, ob Twitter nun ein virtuelles Finanzorakel ist, oder ein fehl geleiteter geistiger Irrläufer. 

„Massen irren seltener als Individuen“, sagt Michael Thaler vom Vermögensverwalter TOP Vermögen AG und Initiator des „Mitmachfonds“ investtor in einem Interview mit Fondsprofessionell. Das funktioniert wie folgt:

Das Portfolio wird permanent auf einer Internetseite abgebildet, und die Fondsanleger dürfen anonym über die Vermögensaufteilung abstimmen. Sie bestimmen zum einen die Investitionsquote des Fonds, die von Vollinvestition über 20 Prozent Sicherheit bis hin zur defensiven Ausrichtung mit 40 Prozent Sicherheit reicht.

Zum anderen geben sie ihre Einschätzung zu den einzelnen Aktien durch Klicken der Buttons „Kauf“, „Neutral“ oder „Verkauf“ bekannt. Abstimmen dürfen alle Anleger, die mindestens 80 Anteile – das entspricht aktuell einer Anlagesumme von rund 4000 Euro – am Fonds halten, jeder mit genau einer Stimme.

Quelle: fondsprofessionell.de

Das begleitende Interview gibt einige weitere Inneneinsichten zu diesem kollektiven Denkansatz. So weit, so gut, gut gebrüllt Löwe! Aber, werden jetzt manche Kritiker einwenden, hält die Realität auf längere Sicht betrachtet dieser idealistischen Einschätzung von Crowdsourcing an der Börse stand, die auf dem Gedankengut von James Surowiecki beruht?

… Wir werden es bald erleben. Spannend ist dieser Ansatz mit einer hohen Lernkurve für die Beteiligten allemal. Aber ein Spaziergang wird der Ausruf von Mitmachfonds am Parkett nicht. Andererseits halte ich es für realistisch, dass sich unter Beteiligung vieler engagierter Menschen das Qualitätsniveau in der Finanzbranche erheblich steigern lässt.

Eine Nachricht aber machte mich doch hellhörig. Denn da las ich neulich, dass Web 2.0-Forscher herausgefunden hätten, dass Twitter die Börsenkurse richtig voraus sieht. Oder genauer gesagt tut dies die Summe jener Menschen, die sie über Twitter prognostizieren. Genial einfach, aber auch einfach genial?

Hört sich also ziemlich interessant an, so werden wir alle bald im Handumdrehen wie beim Lotto zu Millionären? Nein, nicht ganz, schauen wir mal ins Detail.

Wer hat schon ein Interesse daran, dass allzu viele Menschen in den erlesenen Club der Reichen aufsteigen. Der Staat, ein gewisser Teil der Eliten, und einige Neidgeister sicherlich nicht. Außerdem lebt die Börse genau davon, dass es mehr Zittrige als Hartgesottene gibt, sprich drei Viertel der Menschen verliert dort statt zu gewinnen.

Also bin ich der Sache mit der kollektiven Anlegerintelligenz mal genauer auf den Grund gegangen. Das ist wie Tiefseetauchen, je dunkler es da unten in den Ozeanen wird, umso klarer sieht man, dass die Spezies Mensch ein doch eher kurzlebiges Wesen darstellt.

Ein Bild sagt hier leider weniger als tausend Worte. Das nun folgende Schaubild bietet einen Eindruck vom „Kaffeesatz-Lesen“ per Twitter. (Screenshot: MIT TR, mit freundlicher Unterstützung von business.chip.de)

Also ist es doch nicht ganz so einfach, wie es sich anhört? Wir stoßen weiter mit dem Solarbohrer in die leider vom geistigen Erdöl schon ziemlich verunreinigte Tiefsee. Eine erste Spur der bislang verborgenen Spezies – und da beleuchtet zunächst business.chip die Thematik:

Willkürlich ausgewählte Tweets wurden von Forschern der Indiana University systematisch analysiert und für Prognosen des Dow Jones Industrial Average verwendet. Dafür haben sie den auf einem medizinischen Untersuchungsblatt basierenden Algorithmus ‚Google Profile of Mood States (GPOMS)‘ verwendet. Diesen haben sie auf 9,7 Millionen Tweets angewendet, berichtete das Blog-Magazin Read Write Web unter Bezug auf eine Veröffentlichung des Forschungs-Magazins MIT Technology Review.

Quelle: business.chip.de

Und weiter geht die Tiefseereise bis zur Bodenbildung auf dem virtuellen Börsenparkett. Auch auf der Homepage der Indiana University kann man diesen Befund genauer nachlesen:

Researchers at IU Bloomington’s School of Informatics and Computing found the correlation between the value of the Dow Jones Industrial Average (DJIA) and public sentiment after analyzing more than 9.8 million tweets from 2.7 million users during 10 months in 2008.

> Und wie funktioniert das mächtige Twitter-Elaborat genau, dazu noch einmal die Forscher:

One tool, OpinionFinder, analyzed the tweets to provide a positive or negative daily time series of public mood. The second tool, Google-Profile of Mood States (GPOMS), measured the mood of tweets in six dimensions: calm, alert, sure, vital, kind, and happy. Together, the two tools provided the researchers with seven public mood time series that could then be set against a similar daily time series of Dow Jones closing values.

Erneut ein Schaubild dazu:

Und das zeigt die obige Graphik: „What we found was an accuracy of 87.6 percent in predicting the daily up and down changes in the closing values of the Dow Jones Industrial Average.“

Sie sehen, das Thema der kollektiven Anlegerweisheit hat also bereits heute eine gewisse Praxisrelevanz. Und was folgt daraus, das habe ich mich natürlich auch gefragt. Ziemlich skeptisch ist bislang jedenfalls business-chip.de. Zitat: „Es darf daran gezweifelt werden, ob so etwas funktioniert.“

Die CHIP-Online-Redaktion fragt sich beispielsweise, ob der GPOMS überhaupt als Indikator taugt. Wir bleiben jedenfalls wachsam – und halten uns vorerst an die abschließende Warnung eines MIT-Bloggers: „Sei auf der Hut, wenn der Gott der Frösche lächelt!“- Machen wir. 

Also habe ich mir trotz aller Unkenrufe die zum Download bereit stehende 8-seitige Studie der Indiana University noch etwas genauer angeschaut. Und ich bin meine Fragen gemeinsam mit Jonathan Bollen, Associate Professor an der dortigen School of Informatics and Computing durchgegangen. 

Social Banking 2.0: Johan, what can actors on the financial markets (stock markets) learn from the research results, taking into consideration that the financial croud wisdom is stronger then the exclusive knowledge of distinctive players?

Johan Bollen:  That’s a great question and an active research subject. Expert traders may have access to privileged information that is highly specific and accurate, and therefore they may have an edge over non-professional investors. However, the wisdom of crowds effect will allow large communities to compensate for having only individually partial and possibly inaccurate information by better *collective* decision- making. These online communities have now grown to a size that is larger than the populations of many if not most industrialized nations, and I expect this wisdom of crowds effect to become more pronounced over time.

 Two important points:

1) The communities themselves may not necessarily benefit, but those that can tap into that reservoir of collective knowledge.

2) Our results do not pertain to information and news (~wisdom), but to public mood states (~feelings). This is an intriguing difference. 

The question is how we can connect what we know about the wisdom of crowds-effect (which is based on information) to the mood of crowds!

Social Banking 2.0: Counterthesis: Already nowbody is just able to be a quick win millionaire on the stock market, so are your results not just a form of „rocket science“ beyond classical perceptions of behavioral finance?

I don’t think that’s a counter thesis per se. Previous failures to predict the market on the basis of other data sources and other models do not necessarily have implications for this result. What we have demonstrated is a very different effect from „just a form of rocket science“ in behavioral finance. We have scientifically demonstrated that measurements of public *mood* in very large-scale online communities could have a predictive effect towards the stock market in general. I think that represents a novel class of models compared to classical perceptions of behavioral finance.

Whether and how exactly we can use these models for quick wins on the stock market is a different question. I don’t think that should necessarily be the yard stick by which to judge these scientific results.

Social Banking 2.0: Do you see a rupture in business models in the stock market exchange thorugh social media or will it still be „business as usual“?

We are now capable of measuring and studying social science/economic/ finance phenomena at an previously unimaginable scale and resolution. 

I can not imagine how that wouldn’t have a significant effect on how we do business. Predicting the precise changes to existing business models is however quite difficult.

Social Banking 2.0: What is coming next, meanwhile using those results for creating new value chains in financial crowdsourcing and -funding 2.0?

That is something our community is very busily working to find out. I think there are many options going from creating new data feeds (leveraging the value of the data itself) to offering specific crowd- sourced services. The market will have to sort that one out for us perhaps! 😉

Interview: Lothar Lochmaier

Fazit: Haben wir es hier mit einem (noch) unbekannten Fabelwesen aus der schottischen Tiefsee zu tun? Das findet jedenfalls Comedian Kaya Yanar:

Dazu gleich ein Nachtrag jenseits von Comedians, um den seriösen Faden der Auseinandersetzung erneut aufzunehmen. Es gibt nämlich auch in Deutschland zur Rolle von Twitter als virtuellem Finanzorakel einige spannende Forschungsansätze. Die stammen nicht unbedingt von arrivierten Platzhaltern, sondern tendenziell eher aus der Feder ambitionierter Nachwuchswissenschaftler.

So arbeitet beispielsweise Timm Sprenger gerade an seiner Dissertation: 

„The Information Content of Microblogs and their Use as an Indicator of Real-Word Events.“

Hier auf englisch einige weitere Selbstbeschreibungen zu seiner Arbeit dazu, die mir Timm Sprenger dankenswerterweise per mail geschickt hat, damit sich die Leser das nicht leicht verdauliche Thema jenseits von Schwarz-Weiß-Malerei in vertiefter Form zu Gemüte führen können:

In my research, I illustrate how the information on social media websites such as Twitter can be used to predict election results as well as the stock market. This research has been presented on international conferences (e.g., the International Conference on Weblogs and Social

Media) and published in peer-reviewed academic journals (e.g., the Social Science Computer Review). In addition, research results have received considerable media attention ranging from the online edition of the New York Times to the Brazilian newspaper Brasil Econômico.

You find examples of this research here:

Especially, the Research Paper “Tweets and Trades – the information content of stock microblogs”:

http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1702854

Note also our work on „Predicting“ Elections with Twitter:

http://www.aaai.org/ocs/index.php/ICWSM/ICWSM10/paper/viewFile/1441/1852

http://ssc.sagepub.com/content/early/2010/09/24/0894439310386557.abstract?patientinform-links=yes&legid=spssc;0894439310386557v1

<http://ssc.sagepub.com/content/early/2010/09/24/0894439310386557.abstract?patientinform-links=yes&legid=spssc;0894439310386557v1>

In addition, I am the founder of the stock microblogging forum TweetTrader.net (http://TweetTrader.net <http://tweettrader.net/>), which could be summarized in 140 characters or less as: TweetTrader.net is a stock microblogging forum that leverages crowd wisdom to help online investors make $ense of it all. You find more information regarding our mission, technology, and the team on our website:

http://tweettrader.net <http://tweettrader.net/> and the associated blog http://tweettrader.blogspot.com/

Quelle: Timm Sprenger

Ganz am Ende liefert der Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Strategie und Organisation Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität München zu meinem eingangs verlinkten Artikel auf Heise Telepolis noch einen passenden individuellen Erklärungsansatz:

A few recent studies suggest that the information content of microblogs may help predict macroeconomic market indicators. O’Connor et al. (2010) have found Twitter messages to be a leading indicator for the Index of Consumer Sentiment (ICS), a measure of US consumer confidence. Both Zhang, Fuehres, and Gloor (2010) and Bollen, Mao, and Zeng (2010) find that a random subsample of messages from Twitter’s public timeline can be used to predict market indices such as the Dow Jones Industrial Average (DJIA) or the S&P 500. However, all of these studies are concerned with broadly defined data sets (e.g., all available messages or blog posts in the sample period, most without a specific reference to the stock market) and derive aggregate sentiment measures. While the correlation of these aggregate measures with macroeconomic indicators is encouraging, it does not allow us to draw conclusions about the information content of stock microblogs with respect to individual stocks. Das and Chen (2007) found the relationship between aggregated sentiment and index returns to be much stronger than the correlation for individual stocks. Therefore, our study focuses on the specific domain of stock microblogs and investigates their relationship with market prices of publicly traded companies.

Soweit die Ausführungen von Timm Sprenger. Was denken nun die Leser von Social Banking 2.0, wie gut das Finanzorakel Twitter als Prognoseinstrument auf den Finanzmärkten agiert, und ob man gemeinsam an der Börse tatsächlich erfolgreicher sein kann?

Written by lochmaier

Januar 20, 2011 at 8:28 am

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Bangladesh lauert überall: Wenn der Kleinanleger in die dunkle Börsenröhre schaut …

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Die Börse in Bangladesch hatte 2010 fulminante Kursgewinne verzeichnet. Die Kurse waren um über 80 Prozent gestiegen. Seit Anfang Dezember sind sie aber wieder um 27 Prozent gefallen, berichtete vergangene Woche die Nachrichtenagentur Reuters.

Was war passiert? Auslöser waren laut Reuters oberflächlich betrachtet unter anderem staatliche Maßnahmen zur Abkühlung des Marktes, darunter eine Erhöhung der Eigenkapitalrücklagen der Banken. Daraufhin hatten mehrere Tausend wütende Investoren in Bangladesch randaliert, um gegen massive Kursverluste an der Börse zu protestieren.

Der Auslöser: Der Markt gewann (nicht ganz unerwartet?) in 2010 über 80 Prozent dazu, und verlor zum Jahreswechsel wieder deutlich im zweistelligen Bereich. Versuchen wir die Hintergründe jenseits des gängigen rein nachrichten getriebenen Wirtschafts- und Finanzjournalismus zu beleuchten. Im Netz sind jedenfalls hintergründige Analysen dazu Fehlanzeige. Klar, es fehlt die Zeit, und vielleicht auch ein bisschen der Ehrgeiz im Hamsterrad der Newsproduktionitis. 

Dabei hätten schon ein paar Klicks auf Google ausgereicht, um nicht nur zu erwähnen, dass wir es mit einem der ärmsten Länder der Welt zu haben. „Das“ Problem ist der hohe Grad an Korruption. Bangladesch liegt auf den letzten Plätzen im Corruption Perceptions Index, der von Transparency International veröffentlicht wird. Verbesserungen sind übrigens nicht erkennbar, beleuchten zahlreiche Report wie es auch die OECD immer wieder bestätigt.

Könnte deshalb sogar der Vorwurf zutreffen, dass in einem von reichlich Korruption durchzogenen Gemeinwesen betrügerische Händler und der Staat „gemeinsam Kasse gemacht haben“? Zum einen kann man natürlich aus charttechnischer Sicht entwaffnend entgegnen, die Anleger seien in einen Erfolgsrausch  geraten, und hätten, wie es für den Kleinaktionär typisch ist, den rechtzeitigen Ausstieg aus dem Traum verpasst.

Das aber wäre nur die halbe Wahrheit. Denn an der Börse drehen ja die Stellschrauben von oben nach unten. Sprich, die Informationsasymmetrie in der Finanzwelt ist der Vorteil schlechthin, wie es Dirk Elsner vom Blickblog beleuchtet, indem er 10 Thesen aufstellt, warum „Banking 2.0“ auf Augenhöhe mit dem Kunden (noch) nicht funktioniert. Teil 1 der 10 Thesen gibt es hier und Teil 2 hier.

Den 10 Thesen kann man fast uneingeschränkt zustimmen, vor allem der ersten These: Die Finanzbranche lebt von der Informationsasymmetrie. Jedoch zeichnet sich ab, dass vieles, was bislang  weiter so funktioniert, nicht, wie die Rocky Mountains, auf ewig in Stein gemeiselt bleiben muss.

Deshalb bleibt die Frage, ob es eine Veränderung von der Straße her geben wird. Bankenexperte Dirk Elsner jedenfalls rechnet, obwohl er selbst für den Reifegrad der Finanzinnovation immer wieder auf den Kunstbegriff „Banking 0,5“ zurück greift (also eine Bank, die noch nicht mal das kleine ABC der Kundenkommunikation = Transparenz und Aufklärung beherrscht), eher mit einem langsamen Sturm auf die Bastille:

Fest steht aber, dass die Veränderungen bereits begonnen haben und früher oder später das klassische Banking in einem viel größeren Ausmaß ersetzen werden, als sich viele Banker dies derzeit vorstellen können. 

Quelle: Blicklog

Zurück zu Bangladesh und den Kleinanlegern. Bangladesh lauert überall im Kleingedruckten, so nun meine provokante These. Etwa in der Welt des Hochfrequenzhandels haben einige Spieler einen Sekundenbruchvorteil, sie wissen einen Tick mehr und rüher als andere Bescheid, und können deshalb auch gegenüber dem Kleinanleger einen geldwerten Vorteil im Börsengeschehen verbuchen, siehe dazu die „Insider-Analyse“ auf risknet: Robotic Stock Trading kritisch beleuchtet.

Was folgt nun nicht nur für die „Bank 2.0“, deren Potentiale ich in meinem Beitrag auf Heise Telepolis anhand des Facebook-Deals von Goldman Sachs Wie viel Geld und Reputationskapital ist der Branchenprimus des Netzwerkzeitalters tatsächlich wert? ausführlich beleuchte, sondern auch für die Anbieter von Social Banking?

Ganz einfach, der von mir eingeführte Begriff „Reputationskapital“ stellt die Summe des neuen Beziehungsgeflechts über netzbasierte Kundenprozesse dar, ob die Akteure aus Banken und Finanzwesen dies wahr haben möchten, oder nicht. Es handelt sich also um eine Art neue Währungseinheit. Man könnte sie sogar mit einer kleinen Hilfsformel ausdrücken.

Was ist damit gemeint? Der soziale, oder weniger ideologieverdächtig ausgedrückt, der kommunikative Kapitalstock einer Bank wird sich auf Druck von der Straße (siehe Bangladesh) in ein weniger asymetrisches Informationskonstrukt wandeln. Dass damit zahlreiche Herausforderungen einher gehen, auch das lässt sich ansatzweise anhand der Praxis studieren.

Siehe dazu insbesondere die 8. These des Blicklogs zur Massenträgheit der Kunden: 

Vielleicht kann man das Verhältnis zwischen Banken und Kunden mit einer angeschlagenen Ehe vergleichen. Es wird ja längst nicht jede zerrüttete Ehe sofort geschieden. Man hat sich auf bestimmte Art und Weise bequem eingerichtet in seinem Leben und mit seiner “ungeliebten” Bank. Da wechselt man nicht sofort wegen eines Ausraster und ein paar Marotten den Partner. Dieses Trägheit gepaart mit einer Mentalität, die alles billig und möglichst hohe Rendite bei geringem Risiko will, macht es den Banken einfacher, nicht zu reagieren.

Was folgt als kleines Fazit: Früher oder später wird jede zerrüttete Ehe geschieden. Aber erst dann, wenn das „Opfer“ sich entschließt nicht mehr weiter zu leiden, und sich auf die Suche nach einer Alternative macht. Das dürfte mittlerweile bei einer für die Banken hoch sensiblen Kundenklientel durchaus der Fall sein.

Jedoch benötigen auch die alternativen Finanzarchitekten mit ihren neuen Geschäftsmodellen zum Social Banking 1.0 und 2.0 noch etwas Zeit, bis den Worten auch Taten folgen. Denn wer als Anleger gegenüber seiner „Hausbank“ A wie Ade sagt, der muss auch ein zweites A wie Alternative parat haben.

Jedoch hat sich ein nicht geringer Teil der Menschen auch in Deutschland dazu entschlossen, sich selbst aktiv als Bestandteil einer Veränderungsbewegung zu sehen, die sich durch die gesamte Gesellschaft hindurch zieht. Was daraus wird, bleibt abzuwarten.

In autoritären Staaten wie Bangladesh lassen sich Proteste mit Hilfe von Polizei und anderen repressiven Maßnahmen im Keim ersticken. Das freilich droht auch den Internetchefaufklärern wie Julian Assange von Wikileaks, der im Moment zwischen allen Stühlen sitzt.

Denn die Glaubwürdigkeit so mancher Aktivisten in Netzkreisen ist  angekratzt, und es erscheint generell noch wenig abzuschätzen, wohin sich die Informationsasymmetrieachse künftig in Wirtschaft, Politik und in der Finanzwelt hin entwickeln wird.

Written by lochmaier

Januar 18, 2011 at 8:15 am

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Lebensversicherung: Wenn 91 Millionen Luftballons plötzlich platzen

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Insgesamt haben die Deutschen 91 Millionen Verträge über die Gesamtsumme von rund 2,5 Billionen Euro abgeschlossen, berichtet Spiegel online. Dumm nur, wenn die Rendite jetzt nicht mehr stimmt, und die hohen Erwartungen vieler Menschen zu platzen drohen. Interessant sind zu dem obigen Beitrag die Leserkommentare.

Ganz klar, man sollte schon zwischen kapitalbildender und einer Risikolebensversicherung unterscheiden. Umso mehr, wenn es nur mickrige Garantiezinsen (künftig evtl. nur 1,75 statt 2,25 Prozent), und die Kosten jegliche Rendite ins Minus treiben.

Aber die Anbieter machen einem gerne ein X für ein U (Rendite-Sicherheitsvergleich beider Varianten) vor. Kurzum, wer sein Geld gut anlegen will, statt sich und seine Familie zu „versichern“, der ist schlecht von der Branche beraten. Das sickert allmählich bei vielen Anlegern durch, die viel mehr Zeit mit dem Kauf eines PCs oder Fernsehers verbringen als mit der Geldinvestition.

Und das, obwohl ein Fernseher viel billiger ist, selbst bei einem Fehlkauf, als eine folgenreiche Fehlinvestition in eine Versicherung, die sich hinterher nicht wieder gutmachen lässt. Aber der Herdentrieb ist stärker als der Wille, aus dem einmal erlernten Denkschemata auszubrechen. Es ist ja auch viel kuscheliger sich mit dem nächsten Urlaubsschnäppchen oder der Unterhaltungselektronik zu beschäftigen als mit der komplexen und mühevollen Geldanlage.

Wird dies so bleiben? Bei einem gewissen Teil der trägen Masse ja, ein anderer Teil der kritischen Kunden wird aber künftig deutlich mehr Sorgfalt und Zeit verwenden. Vor allem das Vertrauen in dritte „Finanzvermehrerzählonkels“ schwindet. Der liebe Nachbar, der immer wieder mal rüberkam, um einem die nächste (völlig unnötige und überfrachtete) Versicherung anzudrehen, er stellt wohl ein Auslaufmodell dar.

Sprich, Leistung und Gegenleistung müssen stimmen. Nicht nur die Höhe der Beiträge spielen eine Rolle. Die meisten benötigen nur ganz wenige Versicherungsprodukte, und selbst die greifen oftmals nicht wirklich im „Schadensfall“.  Vielleicht reicht ja schon die Haftpflicht aus – oder – was meinen die Leser von Social Banking 2.0 – wo liegt denn die Zukunft der Versicherungsbranche?

Was die Branche selbst mit dem Rücken zu Wand in einem Spiegel-Interview über sich aussagt, das können Leser anhand eines Gesprächs mit Maximilian Zimmerer, Chef der Sparte Lebensversicherung der Allianz und Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland, nachlesen.

Das große Problem aus meiner Sicht ist die mentale wie praktische Inflexibilität, wie die Lebensversicherer selbst an den Kapitalmärkten operieren. Ich fasse meine Einwände mal in einem kleinen provisorischen Thesenpapier kurz und knackig zusammen.

Erstens: Die Lebensplanung der Kunden lässt sich mit Blick auf die Finanzen nicht mehr „stur“ über mehrere Jahrzehnte durchhalten. Das macht Versicherungen – da sie anders als die Finanzbranche allgemein mit einer „weit am Horizont entfernten Zukunftserwartung handeln“ – in ihrem derzeit praktizierten Geschäftsmodell so gut wie überflüssig. 

Zweitens: Die Versicherer selbst haben sich immer auf die Drittexpertise bei der Anlage der Kundengelder verlassen, das heißt, sie rennen wie die Schafe den allgemein als üblich identifizierten Trends am Finanzmarkt hinterher, letztlich zum eigenen Schaden und zu dem der Kunden. 

Drittens: An der Börse wird Mut, Kreativität und Gegen-den-Strom schwimmen belohnt, statt blinde Nachahmung. Versicherungen sind dazu nicht in der Lage. 

Viertens: Mäßige Organisationskultur – Die Versicherer sind strukturell gar nicht fähig, mit neuen Ideen und intelligent gestalteten Produkten statt mit „Knebelverträgen“ beim Kunden zu punkten.

Fünftens: Wer sich wie die meisten Versicherer nur auf festverzinsliche Wertpapiere und Staatsanleihen in einer mehr als volatilen Finanzwelt verlässt, ist irgendwann vom guten Geiste  verlassen. Die miese Kröte muss dann aber der Kunde schlucken, er zahlt die Zeche für ein mäßig ambitioniertes Chancen-Risikomanagement in den nicht vorhandenen Kreativetagen der Anbieter.

Sechstens: Wer wie die Versicherer die Kosten eines Vertragskonstrukts mit lediglich einem Prozent (siehe obiges Spiegel-Interview mit der Allianz) taxiert, verschweigt sowohl weitere vor- wie nach gelagerte Kosten, die die „Gesamtrendite“ deutlich schmälern. Allein die Abschlußprovision beträgt bei vielen Produkten mehrere Tausend Euro. Versteckte Kick-backs sind zudem immer noch die Regel.

Siebtens: Wer den Kunden nicht erst nimmt, wird am Ende selbst nicht mehr ernst genommen.

Achtens: Die Versicherung 2.0 mit einem Kontakt auf Augenhöhe mit dem Kunden wäre ein wünschenswertes Konstrukt, um dem sozialen, wirtschaftlichen und finanzmarkttechnischen Wandel in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Neuntens: Das Bessere ist der Feind des Guten, aber erst, wenn das Gute von der Masse als die deutlich schlechtere Variante erkannt wird. Auch der Kunde darf also dazu lernen.

Zehntens: Es ist für die nachwachsende Generation, die mit einer weniger hierarchischen Netzkultur aufwächst, längst keine unnütze Imagefrage mehr, wenn ein Anbieter bei Sonnenschein Regenschirme ausgibt, dann aber bei einem Wandel derart harte „Knüppelverträge“ ausreicht, dass der Kunde bestraft wird, wenn sich seine Lebensplanung verändert hat.

Elftens (Bonusthese 1): Wir benötigen demzufolge einen Wandel im Verursacherprinzip. Der Anbieter haftet genauso sehr wie der Kunde im anteiligen Risikomanagement, wenn die allgemeinen Erwartungen und prognostizierten Szenarien nicht eintreffen.

Kurzum: Wir benötigen erheblich flexiblere Vertragsklauseln mit variablen Ein- und Ausstiegsszenarien. Wird dies nicht umgesetzt, dann sind die meisten Versicherungen ein völlig überflüssiges Finanzprodukt.

Zwölftens (Bonusthese 2): Wer das Finanzmanagement in eigener Hand behält, und dafür einige Zeit aufwendet, hat erstens ein besseres Gefühl, und zweitens eine mindestens ebenso hohe Rendite, als sich dem steinernen Willen eines Anbieters auf dem Königsthron auszuliefern, bei dem der Kunde sich als permanenter Bittsteller vorkommt, obwohl es doch sein Geld ist, mit dem der Versicherer wirtschaftet.

>>> Ausblick: Dass das alte Spiel mit dem Geld von oben nach unten nicht mehr funktioniert, lässt sich sogar bereits in der BILD nachlesen. Sie zitiert die Verbraucherzentrale, die sagt, dass 95 Prozent der Bundesbürger die „falschen“ Versicherungen gekauft hätten. Wieso die falschen, wenn es die richtigen (noch) gar nicht gibt? Passen Sie also gut auf Ihr Geld auf!

Written by lochmaier

Januar 17, 2011 at 8:20 am

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AWD: Wie seriös ist der Finanz(eigen)dienstleister?

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Die Reportage der ARD lief gestern fast zur besten Sendezeit um 21.45 Uhr. Dass sie überhaupt stattfand, nachdem AWD-Gründer Carsten Maschmeyer über seine Rechtsanwälte massiv Druck versuchte auszuüben, ist nicht selbstverständlich. Denn die Medien und die Politik, bilden gerade in diesem Fall ein ausgesprochen enges Interessengeflecht, das für Außenstehende freilich nicht leicht durchschaubar ist.

Über die Vorgeschichte zur Fernsehreportage lässt sich die diffuse politische Gemengelage via Spiegel online , Handelsblatt und Süddeutsche Zeitung nachstudieren. Und wer einige grundsätzliche Einblicke gewinnen möchte, wie der Finanz(eigen)dienstleister gelegentlich arbeitet, wird in einer Reportage aus die ZEIT vom vorvergangenen Jahr fündig. 

Auch auf diesem Weblog habe ich gelegentlich über den AWD berichtet, so etwa im Oktober 2009 unter der Überschrift: Finanzstrukturvertriebe – Wem es beim AWD-Berater in den Ohren klingelt. Eine Änderung kann hier freilich nur der gehörnte Kunde herbei führen, indem er aus einen bisherigen Verhaltensmustern ausbricht.

Spannend ist daneben vor allem das strukturelle Beziehungsgeflecht zwischen der Finanzbranche und Politik, das den Bürger längst in die Arme von aufnahmewilligen Produktanbietern getrieben hat, die in der Tat vor allem eines im Sinn haben: Ihren eigenen Geldsäckel möglichst rasch zu vermehren.

So bleiben viele Fragen offen, warum Berater zuerst ihren Freundeskreis auf die AWD-Produkte lotsen müssen, nachhaltig ist dieses Geschäftsprinzip sicherlich nicht. Warum soll und muss der Bürger Vorsorgeprodukte insbesondere der Versicherungen kaufen, die weniger Rendite abwerfen als das Tagesgeldkonto?

Warum soll man jemand glauben, dessen Ziel gerade darin besteht, am Wohnzimmertisch von der Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Kunde zu profitieren? All diesen Fragen versuchte die ARD-Fernsehreportage bei ARD-exclusiv nachzugehen.

Titel: Der Drückerkönig und die Politik. Die schillernde Karriere des Carsten Maschmeyer

Trotz des rechtlichen Grabenkriegs zwischen den Rechtsanwälten von AWD [Nachtrag: bzw. genauer dem Gründer von AWD] und dem NDR wurde die Sendung gestern abend ausgestrahlt.

[Update am 13.01. um 13.47 h: Die Presseabteilung von AWD legt via email über eine Unternehmenssprecherin im Zusammenhang mit der Aussage im letzten Satz Wert auf eine inhaltliche Präzisierung, die ich den Lesern gerne zur Kenntnis gebe: 

Ich möchte jedoch feststellen, dass nicht der AWD, sondern Carsten Maschmeyer (der seit 2009 nicht mehr im Vorstand von AWD ist) mit Hilfe seines Anwalts einen Schriftsatz an den NDR und weitere ARD-Anstalten geschickt hat. Die Bemühungen im Vorfeld der Ausstrahlung gingen nicht von AWD aus. Ich möchte Sie bitten, dies zu berücksichtigen und den Text entsprechend zu ändern. Vielen Dank.

Quelle: AWD]

 Soweit diese Ergänzung. Die 30-minütige Reportage kann man sich hier nochmals anschauen:

http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6239032

Mehr Infos dazu gibt es auch auf den Seiten von daserste.de:

Der AWD hatte vielen Kleinanlegern, die ihren Lebensabend finanziell absichern wollten, sogenannte Schrottimmobilien und Geschlossene Fonds verkauft, die längst nicht das brachten, was versprochen worden war. So klagen ungezählte Anleger über den Verlust ihrer gesamten Ersparnisse.

Quelle: http://www.daserste.de/doku/beitrag_dyn~uid,jav8jct6mlwo58k5~cm.asp

Spannend für mich waren vor allem die politischen Bezüge, die Reporter Christoph Lütgert anschaulich herausarbeitete. So basieren die großen politischen Entwürfe zur privaten Alterssicherung auf einem engen Beziehungsgeflecht, unter anderem eben zwischen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem AWD-Gründer. Schließlich hatte er seinen Wahlkampf  in Niedersachsen mitfinanziert.

Und: Der Beitrag passt in ein aktuelles Stimmungsklima, in dem es Tendenzen gibt, einzelne Bank- und Finanzmanager für ihr Tun in die persönliche Haftung zu ziehen. Das dürfte im Falle von Maschmeyer nicht ganz einfach sein.

Besonders interessant waren die beiden kurzen Interviews mit Ex-Arbeitsminister Riester sowie  Familienministerin Schröder, die aufzeigten, welche „Reichweite“ die Finanzbranche in der Politik mittlerweile einnimmt.

Tipp: Die Reportage ist empfehlenswert, zwar wird es auch Anleger geben, die von AWD profitiert haben, jedoch ist das strukturelle Ausmaß der raffinierten Methodik, wie den Kunden gleichzeitig immer wieder Rendite plus Sicherheit in einem Produkt in Aussicht gestellt worden war, längst nicht aufgearbeitet.

Aber AWD würde jetzt sicherlich behaupten, die Kunden seien ja vorher aufgeklärt worden über etwaige Risiken, z.B. von geschlossenen Immobilienfonds (wer die Reportage mit der „bombensicheren“ Geldanlage gesehen hat, kommt allerdings zu anderen Ergebnissen).

Neues Ungemach droht spätestens dann, wenn es der Finanzwirtschaft über die Politikbande gelingen sollte, eine zusätzliche private Pflegeversicherung auf verbindlicher Basis einzuführen. Das wäre wie vor einem Jahrzehnt die Riesterrente ein weiteres milliardenschweres Produkt, von dem vor allem die Anbieter profitieren würden.

Ob der Kunde für seine Beiträge irgendwann eine ausreichende Leistung erhalten wird, das steht in den Sternen. Einen Nachhall zur obigen Reportage gibt es etwa auf satundkabel.de . Mehr dazu auch auf der Infoseite lobbycontrol.de. Interessant ist auch das hintergründige rechtliche Update der Kanzleikompa BILD ist die Freundin in der Not.  

Eine Zusammenfassung der Diskussionsstränge bietet zudem egghats wunderbareweltderwirtschaft. Und die FAZ fasst wie folgt zusammen: „Wer den Film gesehen hat, weiß, dass Carsten Maschmeyer nicht der Einzige ist, der Fragen beantworten sollte.“

Update am 17.01.: Einige Szenen der ARD-Reportage mussten wieder entfernt werden, darüber berichtet etwa Spiegel online hier – siehe dazu auch daserste.de in einer Chronologie der Ereignisse.

Written by lochmaier

Januar 13, 2011 at 9:35 am

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Jahresrückblick (12): Rückspiegel, Blinker setzen, Überholen

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Zunächst der Rückspiegel: Im Dezember hat sich die Berichterstattung auf Social Banking 2.0 vor allem auf die Vorweihnachtsfreude fokussiert, die nicht nur eine in der Konzeptionsphase schlecht durchdachte Boykott-Aktion wie Stopbanque verursacht hat, als ein etwas zwielichtiger Ex-Fußballstar das Rampenlicht betrat, dessen Frau werblich für die Finanzbranche in Erscheinung getreten war, was die Aktion vollens diskreditierte.

In meinem Artikel auf Heise Telepolis gab ich nebem dem Blog einen umfassenden Überblick über die Stimmungslage der frustrierten Bankbürger, die den etablierten Institutionen zunehmend misstrauen. Noch ist die allgemeine Gemengelage „Stopbanque trifft Wikileaks“ etwas diffus:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33757/1.html

Blinker richtig setzen? Was bringen solche Aktionen, wenn man  nur A aber nicht B sagt? Sprich, die Leute sollen ihr Geld von den Banken abziehen, das System zum Kollabieren bringen, es gleichzeitig jedoch (noch) an den ausgereiften produktiven Alternativen fehlt, wo die Finanzen stattdessen platziert werden sollen.  

Und damit sind wir endgültig bei dem bestimmenden Medienthema im Dezember. Die Enthüllungen von Wikileaks und von Julian Assange sollen schließlich auch die Bankbranche betreffen, allen voran wohl die Bank von America. Ich titelte aber eher verhalten: „Bashing geht auch ohne Geheimdokumente:

https://lochmaier.wordpress.com/2010/12/03/wikileaks-bank-of-america-im-visier-bashing-geht-auch-ohne-geheimdokumente/  

Folglich veröffentlichte ich statt dem großen Revolutionspathos zu fröhnen, das uns via Julian Assange wohl bald dessen Memoiren vors Kaminfeuer spülen wird, lieber dem Kleingedruckten in den holprigen Bankprozessen, so etwa in einem virtuellen Gastbeitrag, woran die Banken jenseits von Bashing wirklich kranken – wobei es mir insgesamt mehr darum ging und geht, konstruktive neue Ansätze jenseits von Schwarz-Weiß-Malerei aufzuzeigen, was ich dann auch unter folgenden Überschriften gerne tat: „Investieren in CH: Schweizer Crowdfunder und Venture Capitalists 2.0“ – oder meiner „interaktiven Bankenlandkarte zum Social Banking? 

https://lochmaier.wordpress.com/2010/12/05/virtueller-gastbeitrag-woran-die-banken-jenseits-von-bashing-wirklich-kranken/

https://lochmaier.wordpress.com/2010/12/02/investieren-in-ch-schweizer-crowdfunder-und-venture-capitalists-2-0/

https://lochmaier.wordpress.com/2010/12/08/interaktive-bankenlandkarte-quo-vadis-social-banking/

Dass der schleichende Bewusstseinswandel in der Finanzbranche – am Beispiel des analog zu sehenden mangelnden „Klimawandels“ in Cancun, als Schnecke noch keinen Turbo gezündet hat, das ließ sich daran ablesen, dass die Deutsche Bank die Skeptiker in einer neuen Studie deutlich zur Einsicht mahnte:

https://lochmaier.wordpress.com/2010/12/07/cancuns-klimawandel-hausgemacht-oder-schicksal-deutsche-bank-rugt-skeptiker/ 

Wir bilanzieren nun also nach dem Rückspiegel und dem Blinker setzen, jetzt auf der geistigen Überholspur für das Jahr 2011 angekommen, dass es wohl mit dem guten Öko- und Sozialgewissen etwas mehr Geld zu verdienen gibt als in den Jahren zuvor. Neue Geschäftsmodelle heizen den arrivierten Spielern nicht nur in den Bankbranche ein.

Macht am Ende in diesem Jahr das Kleinvieh doch ordentlich viel produktiven „Mist“, pardon Dünger? Entnehmen wir die Antwort doch eher unakademisch mit den Worten der Schweizer Crowdfunding-Plattform C-Crowd den Ausführungen des Schweizer Bankers Konrad Hummler, der in einem Videointerview mit der Neuen Züricher Zeitung behauptet, dass die neuen Internetplattformen nun die „Bankbilanzen“ bedrohten. Nochmals anzuschauen hier:

http://crowdfundingonline.wordpress.com/2010/10/03/internet-plattformen-bedrohen-bankbilanzen/

Diesem Kommentar eines Lesers gibt es – nun leider auf der viagrafreien Überholspur für 2011 angekommen – nichts mehr hinzuzufügen, außer natürlich die besten Wünsche für ein gesundes und (erkenntnis)reiches Jahr 2011, der sich meinerseits an die nach vorne geneigte Leserschaft dieses Weblogs Social Banking 2.0 richtet:

Crowdfunding als Gefahr für die Banken? Ein sehr spannender Gedanke, wird aber meiner Meinung nach noch lange dauern, da die Finanzbranche doch eine sehr konservative ist. Wenn die grossen Banken hier aber nicht mithalten können, werden ihnen Deals in einer durchaus schmerzhaften Grösse wegbrechen.

 

Written by lochmaier

Januar 10, 2011 at 8:11 am

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