Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Design Thinking: Meine Erfahrungen mit der Co-Creation

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Vergangene Woche blickte die kleine und große Welt auf Berlin. Während Michelle Obama und ihre beiden Töchter der historischen  Rede des US-Präsidenten am Brandenburger Tor fern blieben, weil sie ihn nicht mehr reden hören können (kleines Familienproblem, wie in der großen Finanzindustrie), hatten wir es mit dem Hello Co-Creation Workshop zur Bank von morgen deutlich besser. Der Ball kam gehörig ins Rollen.

Denn wir hörten nicht nur zu, wir diskutierten intensiv miteinander neue Ideen, in einem einzigartigen Format, das Bank, Experten, Nutzer und Kunden, kurz ein bunt zusammen gewürfeltes Team am runden realen und virtuellen Tisch versammelte. Eine phantastische Woche ging zu Ende. Die Leitfragen hatten es in sich: Wie kann Banking begeistern? Wie verwalte ich mein Geld einfach und schnell? Wie kann Banking persönlicher werden? Ich beschreibe hier mal meine ersten Eindrücke und Erfahrungen zum Design Thinking der neue Generation „(Social) Bank 2.0“.

Wir waren im Rücken des Ritz Carlton Hotels in Berlin als Workshop-Team untergebracht, was dem Live ins Internet gestreamten Event die ganze Woche über einen zusätzlichen Reiz verliehen hat. Während, so kolportierte es die freche Berliner Schnauze, der Berliner Bürgermeister Wowereit die hochrangigen US-Gäste leider versehentlich am Berliner Flughafen Schönefeld abholen wollte und sie deshalb verpasste, waren wir bereits einen Tag intensiv zu Gange.

Fast alles ging ungefiltert ins Netz, die Bewegungen, die Gefühle, die Gedanken, die Dialog. Von Montag bis Donnerstag stellten sich mehrere so genannte Experten (wir fühlten uns gar nicht so, sondern nur als Teil eines dynamischen Ganzen) beim von Cortal Consors initiierten Design Thinking Workshop dem Speed Dating Prinzip, oder wie ich es bezeichnen würde, der chaotischen Methode. Wer mehr über Chancen und Grenzen von Desing Thinking im Bankenumfeld erfahren möchte, dem empfehle ich mein Interview: Kann der Bankkunde profitieren?

Die Antwort gleich vorweg: Der Kunde kann durch Design Thinking profitieren. Es traf sich ein ebenso zielstrebig wie spontan aufgeschlossen agierendes Team von rund zwei Dutzend Leuten in Berlin. Es war die große Überraschungskiste – da gab es die Expertenrunde, wo keiner von uns so tat, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Denn jeder kann auf seine Art ein Experte sein, wenn man ihn/sie lässt. Der Gründer, der Designer, der Architekt, der Finanzexperte und und und.. alle können Rollen aus dem wirklichen Leben kreativ ausfüllen.

Dann gab es den Avatar, der die Sicht der Kunden per Live-Kommentare direkt in den Workshop einsteuerte. Sehr wichtig und inspirierend! Dann gab es die Technik, die die ganzen Streams ins Netz verfügbar machte, aus unterschiedlichen Perspektiven. Eine technische Herausforderung, immer am Rande zwischen Genie und … Wahnsinn!

Dann war da das Kreation-Team im Hintergrund, das dann ins Schwitzen geriet, wenn das Workshop-Team abends damit begann, sich bereits wieder zurück zu lehnen. Was dort aus Ideenskizzen, Scribbles, Designvorlagen und ersten Ideen-Rohlingen von Zeichnern, Storyboarderinnen und Video-Animateuren über Nacht gezaubert wurde, das war einfach, klar – und ganz getreu dem Satz: Ein gutes Bild sagt mehr als tausend hohle Worte.

Und dann gab es die Kunden, eine phantastische Ergänzung von außen, jeden Tag frische Blutzufuhr, jeweils zwei Personen kamen dazu, integrierten sich nahtlos in das Workshop-Team und brachten so frischen Wind und neue Ideen herein. So dass einem die Vertreter der französischen Muttergesellschaft von Cortal Consors BNP Paribas fast ein bisschen leid tun konnten. Denn hier wurde nicht unverbindlich gequatscht und diskutiert, sondern hier wurde gemeinsam Hand angelegt an der Bank von morgen. Ideen sammeln, entwickeln, verwerfen, neu entwickeln, unter Zeitdruck struktuuieren – und last but not least, auch noch so aufzeichnen, dass jeder Außenstehende sie auch verstehen kann. Solche Wege entstehen nur beim gemeinsamen Gang zum Zahnarzt. Okay, das ist jetzt ein bisschen martialisch ausgedrückt.

Zwischenfazit: Design thinking, richtig angewandt, es kann tatsächlich funktionieren. Man muss das Rad nicht neu erfinden, man muss es nur vielleicht nur maßschneidern und anders (wieder) zum Laufen bringen.  Nach dem Aufwärmtag am Montag, in dem die Teilnehmerschar  sich ebenfalls teilweise live im Internet intensiv beschnupperte, kamen die drei Kerntage, von morgens bis abends waren wir mit kleinen Pausen live im Netz zu sehen.

Der Dienstag und Mittwoch brachte die besondere Note, direkt im Rücken des Hotels, wo die Familie Obama nächtigte. Sicherheitskontrollen, ständige Beobachter, Scharfschützen, amerikanische Geländewagen, wir fühlten uns die zwei Tage ein bisschen wie in einer amerikanischen Enklave. America, God bless you an me …

Es war aber trotz der organisatorischen Herausforderung eher ein kreativer Schub nach vorne, als dass die Staatsgäste und deren Entourage uns wirklich behindert hätten. Nein, es gab uns sogar das Gefühl, an einem besonderen Moment mitzuarbeiten. Denn in dieser Form und Zusammensetzung, in dieser “ stimmigen Chemie“ unter allen Einheiten, die wie Puzzleteile ineinander griffen, ich betone das gerne, hat es sowas in der Entwicklung von neuen Bankenkonzepten meines Wissens noch nicht gegeben.

Okay, es gibt Barcamps, Ideen Workshops und vieles mehr, aber die „chaotische Methode“, die wir praktizierten, ich hoffe, dass sie auch auf andere Banken abfärbt. Auf die Volksbanken und Sparkassen, auf die Privat- und Geschäftsbanken, denn es braucht nicht geschlossene Netzwerke, sprich, die üblichen Verdächtigen, um neue Ideen zu entwickeln.

Offene Netzwerke sind gefragt, bei denen sich die Bank nur im Hintergrund hält, sich also gar nicht in den Kreativprozess einmischt, um diesen zu steuern oder gar zu manipulieren.   Kein abgekartetes Spiel also, und hier sei deshalb auch den Organisatoren von Cortal Consors ausdrücklich gedankt, sich bewusst auf dieses offene und durchaus riskante Experiment eingelassen zu haben! Ein kleines Masterpiece jenseits vom großen Schlaglicht, das hoffentlich auch auf andere abfärbt.

Die drei Kerntage brachten 18 „spannende“ Ideenansätze. Wohl gemerkt, es war von vorne herein klar, dass wir das Banking nicht komplett neu erfinden. Das war nicht der Anspruch, der Prozess war schon das Ergebnis. Der Kunde übernimmt die Regie. Für mich war das vor vier Jahren (siehe den Untertitel meines Blogs) noch ein Begriff, den ich selbst nicht klar fassen konnte. Es war halt eine spontane Eingebung. Jetzt habe ich gesehen, dass sich auch die Banken öffnen und den Dialog wagen, der am Ende auch eine andere Produkt- und Geschäftsphilosophie nach sich ziehen kann. Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern es nur gemeinsam besser zu drehen.

Oftmals sind es die kleinen Schritte und Ideen, die zählen. Stichwort Personal Finance Management. Der große Wurf braucht Zeit, dafür gibt es keine Design-Vorlage. Oder wie es die Journalistin Carla Neuhaus nach der Pressekonferenz am letzten Workshop-Tag in den Potsdamer Neuesten Nachrichten so ausdrückte: Suche Banker fürs Leben.  Bisher ist es meist nur eine Lebensabschnittsbeziehung, nicht selten auch ein zerrüttetes Verhältnis.

Vor Ort und im Netz hatten sich am Freitag da draußen auch die Pressevertreter versammelt, um dieses seltsame Workshop-Format zu begutachten. So manch einer rieb sich vielleicht verwundert die Augen. Vielleicht wird das Außergewöhnliche bald gewöhnlich? Cortal Consors lässt Kunden ran, titelte finanzen.net. Denn eine Bank sucht Ideen, so der Tagesspiegel.

Am Ende des Gestaltungsprozesses entstand zwar kein sensationelles neues Bankenmodell, werden Kritiker und Nörgler jetzt einwenden. Denen möchte ich entgegnen, dass ich selten in meinem Leben eine Arbeitswoche erlebt habe, die so intensiv und produktiv war. Es war wie das Kennenlernen der Anderen im Zeitraffer, das Zusammenarbeiten im Turbolift, der  mal nach oben mal nach unten steuerte. Am Ende aber standen wir alle, zwar müde und etwas erschöpft, auf dem Gipfel – und freuten uns wie die kleinen Kinder, die im Sandkasten eine wirklich großartige Burg zusammen gebaut hatten.

Es war ein tolles Erlebnis, heute morgen bin ich aufgewacht und habe mich gefragt, wo die anderen sind und was sie so treiben. Das ist das beste Zeichen der inneren Uhr, dass ich mehr Energie aufgebaut als verbraucht habe. Ich vermisse Euch schon, wo seid Ihr denn da draußen? Könnte nicht der Avatar uns mal kurz zusammenschalten? Zum Trost: Es wird bestimmt eine Fortsetzung geben.

Je ne regrette rien

Was ist mein letztes Fazit: Die chaotische Methode, sie funktioniert jenseits berechenbarer Endergebnisse tatsächlich. Die „Bankenmauer“, um im Berliner Jargon zu bleiben, einer Stadt, die viel erlebt hat und erleben wird, sie ist längst gefallen. Jetzt ist es an uns, was wir draus machen. Oder, um es mit meinem kleinen Video auszudrücken, das ich mal vor ein paar Jahren erstellt habe: Hey Banker, leave those tweets alone.

Hinweis: In den kommenden Tagen und Wochen wird es die visuellen Endergebnisse noch zu sehen und zu hören gebe, wer dem Live-Stream aus verständlichen Gründen nicht folgen konnte. Ich freue mich schon auf eine Fortsetzung und möchte mich bei allen Beteiligten vom Catering über die Technik bis hin zu den Nacht- und Frühschichtarbeitern bedanken. Ihr ward großartig, ohne unmenschlich perfekt zu sein.

Aber so ist das richtige Leben zwischen Ordnung und Chaos, bei dem es wichtig ist, am Ende des Monats möglichst mehr Geld einzunehmen als auszugeben, um den Energiefluss in der eigenen Hand zu behalten. Ich hoffe, dazu konnten wir mit diesem Format den Nutzern von Bankservices einige wertvolle Hilfestellungen und Ideen geben. Allein das wäre schon ein großer Erfolg, ohne den das kleine und große Schwungrad des Lebens sich nicht weiter drehen kann.  Lassen wir es gemeinsam weiter fließen.

Nachtrag: Etwaige Rechtschreibfehler sind hier mal ausnahmsweise gerne beabsichtigt, denn der Autor möchte auch nicht immer perfekt sein. A propos, zur Ton- und Stimmunglage während der vergangenen Woche – hier sehen die Leser Live-Eindrücke der vier Workshop-Tage, jeweils in einem kurzen Video-Zusammenschnitt via Youtube:

Tag 1  +++  Tag 2  +++  Tag 3  +++  Tag 4

Ausblick: Nicht jeder der eine Vision hat, sollte gleich zum Arzt. Die Methode Design Thinking sollte aber gründlich durchdacht und vorbereitet sein. Es kommt auch die maßgeschneiderte Anwendung an, damit es zu zielführenden Ergebnissen kommt.

Aber: Warum sollte  die SPD ihr Experten-Team (das so genannte Schattenkabinett) das nächste Mal nicht direkt über einen Co-Creation-Workshop zusammenstellen, so wäre zumindest die Chance größer, hier einen zukunftsorientierten Ansatz zu generieren.

Auch andere „Problembranchen“ wie die Energie-, Gesundheits- oder Chemiebranche könnten profitieren, sofern sie sich ernsthaft nach außen öffnen und solche Konzepte von vorne herein in ihre Produkt- und Geschäftsentwicklung integrieren. Denn nicht mehr kommt alles Neue automatisch nur von oben, aber alles Gute kommt jetzt meist von unten, der Mitte und oben, bei richtiger Dosierung zumindest gelingt der maßgeschneiderte Design thinking Anzug.

Kommentare dazu, was möglich und unmöglich ist, sind wie immer gerne willkommen. Für was eignet sich Design Thinking:

1. Die Energiewende von unten

2. Neue Banken braucht das Land

3. Die Krankenkasse bin ich

4. – create your own project –

Written by lochmaier

Juni 23, 2013 um 9:38 am

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4 Antworten

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  1. […] Umfassender Artikel über den Workshop vom Teilnehmer und Finanzblogger Lothar Lochmaier […]

  2. […] Vor allem bin ich beeindruckt davon, dass alles wirklich so offen ablief. Es gab Live-Videostreams ins Web, die Zuschauer konnten per Chat Ideen einbringen, die Ergebnisse sind veröffentlicht. Das ist schon was Besonderes in der Bankbranche, die ja immer auf Diskretion achtet. Lothar Lochmaier war auch dabei, und es war ja klar, dass er auch darüber bloggt. (Link) […]

  3. […] also read the blog article of Lothar Lochmaier about the […]

  4. […] Design Thinking: Meine Erfahrungen mit der Co-Creation […]


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