Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

„Freundliches Banken-Manifest“: Übernahme der allzu gefräßigen großen Finanzindustrie durch die niedere menschliche Schwarmintelligenz

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Wie wäre es mit einer „freundlichen“ Übernahme der Finanzindustrie durch den bislang ohnmächtigen Nutzer – Sicherlich wieder so eine spinnerte Idee von ein paar durchgeknallten Visionären. Aber warum eigentlich nicht. Aus mancher „Schnapsidee“ ist schon ein alltagstaugliches Wechselwählerprogramm geworden.

Die Idee kam mir beim Schreiben einiger Artikel in diesem Blog, weil ich merkte, dass es keinen wirklichen (gesellschaftlichen) Dialog zwischen neuen und alten Banken gibt. Siehe dazu:

https://lochmaier.wordpress.com/2009/11/12/welcome-to-the-machine-db-research-nimmt-p2p-lending-ins-kreuzfeuer/

https://lochmaier.wordpress.com/2009/11/02/starker-tobak-finanzberater-expacto-damonisiert-social-banking/

https://lochmaier.wordpress.com/2009/11/04/legoprinzip-blicklog-verdrahtet-alte-und-neue-banken/

http://electrouncle.wordpress.com/2009/11/05/like-love-social-media-changes-everything/

Kritischen Dialog in Gang bringen

Warum also nicht das Rad in der Bankenwirtschaft neu erfinden, und die Geldströme endlich mal in die richtigen Kanäle statt in die Sickergrube zu leiten?

Legen wir doch gleich mal damit los: Mehrere tausend Menschen wollten sich in den letzten Tagen auch über dieses Weblog Social Banking 2.0 informieren – und zwar nicht über mich, sondern über eine neue Bank, die erst vor wenigen Tagen in Deutschland gegründet wurde, die Noa Bank.

Die Leser suchten handfeste Informationen über die Noa Bank, aber auch über den Gründer Francois Jozik. Die seit Montag offiziell präsente Bank startete übrigens zufällig gerade an dem Tag, als die Elite sich am Brandenburger Tor wieder mal selbst  feierte und sich ein Denkmal setzte. Für uns in der niederen menschlichen Schwarmintelligenz angesiedelte Erdenburger blieb nur noch die Statistenrolle:  Wir sind, was nur (ver)folgt.

Reden wir deshalb lieber von der NOA Bank. Mein ausführlicher Artikel dazu findet sich hier.  Francois Nozik, der Gründer der NOA Bank, berichtet von einem großen Interesse, ja fast schon einem kleinen Ansturm von Interessenten: Schon in den ersten vier Tagen  seien über 18.000 Anfragen von Neugierigen herein gekommmen. Die einen nervten die Telefonhotline der Noa Bank mit Fragen, und die anderen wollten berechtigterweise wissen, was sich genau hinter der Bankfassade verbirgt, andere wiederum eröffneten gleich ein Konto.

Mittlerweile stehen auch anderen Spielern wie Smava und Fidor die Türen offen. Man hört sie an, nicht nur in einschlägigen Szenetreffs, sondern in Fachkongressen, bei denen sich das who is who der Branche trifft. Die Financial Times portraitierte erst am Mittwoch die Fidor Bank ausführlich hier. Weitere neue Banken mit einer auf die Kunden zugeschnittenen Philosophie werden sicher folgen.  

Handelt es sich bei dieser neuen Bankengeneration, die beansprucht, sich jenseits von jeglichen Spekulationsblasen zu positionieren, um die nächsten Rattenfänger von Hameln, denen schon wieder ein paar Bankgefrustete anheim fallen? Bleibt das nicht eine kleine geschichtliche Episode – Sicherlich wird die Nagelprobe für die NOA Bank und Co. erst dann kommen, wenn das über Tagesgeldkonten oder Festzinsanlagen eingesammelte Geld produktiv in unternehmerische Projekte reinvestiert werden muss. Community Banking at it’s best – aber die Geldanlage über virtuelle Anlegergemeinschaften ist für die Beteiligten auch ziemlich anstrengend. Es gibt noch viel zu lernen für uns alle.

Also mal abwarten. Aber nicht nur warten „bis Godot kommt“: Das große Interesse der Anleger an kreativen Spielarten der Geldanlage zeigt: Ein gewisser Teil unserer Gesellschaft wäre schon irgendwie bereit, sich selbst zum Herr und Gestalter über die Geldströme in der Wirtschaft aufzuschwingen. Ich höre schon den Chor der Gegenstimmen: Aber die bzw. wir Menschen  sind doch dumm! (Außer einer kleinen Elite, in deren Taschen allzu viele große Scheinchen landen).

Wir sind keine Sozialisten und keine Kapitalisten mehr, sondern Social Entrepreneurs, wie ich versucht habe, in einem Beitrag heute auf Heise Telepolis aufzuzeigen:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31487/1.html

Plakative Klischees bringen uns nicht weiter. Natürlich hat sich die Finanz- und Wirtschaftselite alles hart erarbeitet. Mag sein, aber nicht immer, und vor allem immer öfters wurde vieles erspekuliert statt erkämpft – Also: Vielleicht wird aus einer kleinen Welle, aus der allgemeinen Bewusstseinstrübung des unmündigen Bankmenschen und Bankkunden heraus, irgendwann eine große Bewegung. Man muss nur mehr kleine Steine übers Wasser hüpfen lassen. Und sicherlich kann auch die einschlägige Blogosphäre zu dieser Entwicklung mit dazu beitragen.

Ursprünglich hatte ich das folgende Ideenskript nur für mich selbst gemacht, um mir etwas mehr innere Klarheit darüber zu verschaffen, wie die „Bank der Zukunft“ aussehen könnte, bei der Geldgeber, Kreditnehmer, sprich Kunde, „Bank“ oder Dienstleister sich auf gleicher Augenhöhe befinden. Die Einwände sind stets präsent: Ein Modell natürlich nur fürs „Private Banking“. Da gibt’s kaum Gegenwind, da es einige Bankmanager sowieso nur als zu vernachlässigendes „Peanuts-Geschäft“ ansehen. Die Musik spielt laut den Insidern doch sowieso bei den Merger & Acquisitions, bei Hedge Fonds, und sonstwo, wo längst keiner mehr durchblickt. Da wird doch das große Rad gedreht. Was will denn der kleine Bankkunde da? Wir wollen ja die Welt nicht gleich aus den Angeln heben, oder?

Einige Mahner werden jetzt sicherlich gleich einwenden, nach dem etwas unglücklichen Manifest, in dem einige führende Blogger die Segnungen des Internets im modernen Journalismus verteidigt hatten, wir brauchen jetzt nicht noch einen weiteren kreativen Input, der am Ende nur aus einem Wortschwall besteht, bei dem außer viraler Wichtigtuerei und (un)sinngeschwängerter Kraftmeierei nicht allzu viel rumkommt. Auch im Internet gibt es die Klassengesellschaft, und die Kluft zwischen Arm und Reich fällt dort nicht geringer aus sonst. Darauf antworte ich: Nicht jeder, der Visionen hat, sollte gleich zum Arzt. Vielleicht entsteht mehr daraus, wenn Menschen flügge werden. Join the Venture!

„Freundliches Banken-Manifest“: 

Übernahme der allzu gefräßigen großen Finanzindustrie durch die niedere menschliche Schwarmintelligenz

Das „Cluetrain-Manifest“ aus dem Jahr 1999 stellt eine Art Verkehrsregelwerk dar, für eine künftig von den Spielregeln des Internets geprägte Wachstumsökonomie. Es beinhaltet 95 Thesen, die sich in abgewandelter Form auch auf eine reorganisierte Bankenlandschaft beziehen lassen. Hier einige Anstöße zum freien Fortschreiben als Diskussionsgrundlage, auf deren Basis sich alte und neue Spieler in der Bankenlandschaft treffen könnten:

1. Banken und Finanzberater sollten den Kunden nicht nur als Melkkuh betrachten, sondern als Partner auf gleicher Augenhöhe ernst nehmen.

2. Erfolgt der Blickkontakt auf gleicher Augenhöhe nicht, werden immer mehr Menschen ihre traditionellen Bankkonten auflösen und die nur vom eigenen Interesse fern gesteuerten Berater in den Vorruhestand schicken. Parallel dazu wenden sich viele Menschen im Netz anderen Alternativen zu, bei der sie selbst Einfluss nehmen auf die Produkte und Entscheidungsprozesse in einer von Hierarchien befreiten und vom Produktmüll entrümpelten Finanzindustrie.

3. Dem Dialog und der Kommunikation mit den Kunden und zwischen den Kunden kommt dabei jenseits vom reinen Verkaufsinteresse ein eigenständiger Stellenwert zu. Dieser lässt sich nicht nur in monetären Kategorien bemessen, sondern in einer sozialen Extrarendite.

4. Der Kunde und nicht die Bank steht somit im Mittelpunkt jeder zwischenmenschlichen und finanziellen Transaktion. Der Vertrieb und seine Struktur ordnen sich dem Gleichklang aus unternehmerischen, sozialen und ökologischen Zielen unter, die von der Geschäftsführung festgelegt sind.

5. Jede Form der Geld- und Kreditvergabe hat eine soziale Komponente. Jede Transaktion sollte einen gesellschaftlichen Bezug und Nutzwert haben. Der Social Entrepreneur und Social Banker wird vom Außenseiter und abgestempelten Exoten zum angesehenen Normalfall in der Wirtschaft.

6. Vermeintlich exklusives Wissen von Bankmanagern gilt es, von selektiven Marktzugängen zu befreien. Insiderwissen vertieft die soziale Kluft und verteilt den Mehrwert nur nach oben. Experten und Nutzer tauschen ihre Informationen in der Bank der Zukunft direkt und auf Augenhöhe miteinander aus.

7. Die finanzielle Interessengemeinschaft kann in klein- und großteiligen „Facebooks für Banken“ als öffentlicher Gegenpol auf informelle Art und Weise die Banken in ihrem Geschäftsgebaren fortlaufend kontrollieren.

8. Die Gemeinschaft von Kreditnehmern und Geldanlegern trägt durch permanente Rückkoppelung mit den Bankmanagern dazu bei, einen veränderten Blickwinkel auf „systemrelevante Marktmechanismen“ direkt in der Organisationsstruktur zu verankern.

9. Die Gestaltung der Kundenbeziehung jeder Bank soll sich künftig nicht allein auf die Erfüllung monetärer Renditeziele ausrichten.

10. Der vernünftige Umgang mit menschlichen und natürlichen Ressourcen rückt ins Zentrum der globalen Finanzströme. Ansonsten entfernen sich die wichtigen Leitindustrien, zu denen auch die Banken gehören, immer weiter von ihrem eigenen Zukunftsmodell. Direkte Investitionen in die „Realwirtschaft“ wären die Konstante in diesem Transformationsprozess.

11. Soziale Rendite bedeutet verbindliche gesellschaftliche Ziele eine Dynamik des gemeinsamen Handelns festzulegen, die eine Hebelwirkung zur Verhaltensregulierung in der Bankenszene entfalten.

12. Wer zu spät kommt und den gesellschaftlichen Stellenwert von sozialen Medien (Social Media) nicht verstanden hat, den bestraft die Geldbörse.

13. Die Zeit der Alleinherrschaft in gläsernen Bürotürmen der Finanzmetropolen ist vorbei.

14. Der Kunde übernimmt beim Social Banking 2.0 die Regie, er berät sich selbst und hilft anderen auf gleicher Augenhöhe, bessere Entscheidungen zu treffen.

15. Soziale, ökologische und finanzielle Rendite stehen also nicht mehr im direkten Widerspruch, sondern agieren im Gleichklang.

16. Wir werden die Welt retten, müssen es aber nicht (gleich sofort tun).  

17. Jeder Mausklick, mit dem eine Internetbank oder ein Betreiber Geld verdient, sollte für die Nutzer transparent sein, wohin das Geld fließt. Die Community wiederum sollte Austauschbedingungen definieren, um einer „Umsonst-und-Kostenlos-Mentalität“ in finanziellen Netzwerken vorzubeugen.   

18. Die Bank sind wir.

19. Auch die privaten Daten gehören der Financial Community. 

20. Übrigens: Rendite, Zinsen und Geld sind nicht von vorne herein schlecht und reines Teufelszeug, solange sie mehr als einem Profiteur, der an den Schalthebeln der Macht sitzt, zugute kommen.

21. Kreative, real existierende Menschen und Unternehmer sind das Rückgrat der Wirtschaft und Gesellschaft.

22. Geld sollten wir nur dann abschaffen, wenn uns ein besseres Tausch- und Zahlungsmittel einfällt.

23. ………….Hier könnte Ihr Beitrag stehen!


Anmerkungen: Ich bin nicht Martin Luther und nagle diese Thesen wie in Stein gemeiselt an die Wand der virtuellen Bankentürme. Wäre ja auch dumm, wenn ich selbst klüger wäre als die Summe der „finanziellen“ Schwarmintelligenz. Es darf also weiter gemeiselt werden.

Die bisherige Gedankensammlung könnte vor allem die positive (aber auch ambivalente) Rolle des Internets bei der Neugestaltung von Banken noch stärker heraus arbeiten (ich weiß, das Netz ist auch kriminell und böse, aber lassen wir das mal in diesem Moment noch etwas beiseite)…

Vieles kann man in der weiteren Gedankensammlung außerdem deutlich präziser die strategische Rolle von Social Media bzw. Web 2.0-Technologien herausarbeiten. Kleiner Richtungsweiser: Zentral sind sicherlich die Aspekte „Transparenz“ und „Selbstbestimmung“, durch die mit Hilfe von Social Media im Zeitalter von Social Banking 2.0 die Nutzer selbst bei der Gestaltung von Bankprodukten mitwirken können, um die Geldströme künftig produktiv und näher am Puls der realen Wirtschaft zu platzieren.

Last but not least die Frage: Ist das „freundliche Banken-Manifest“ nicht mehr als eine „Eintagsfliege“? Das Volk ist und bleibt, was folgt, weil es zu dumm ist, erst recht, wenn es ums Geld geht?

Schließlich lebt die Hochfinanz von den zwei Dritteln der Menschheit ohne Geld und Dach überm Kopf – und von jenen Otto Normalverbrauchern, die entweder als Schuldner ihre Kredite bedienen, oder über ihre billige Arbeitskraft das große Rad der Finanzindustrie am Laufen halten. Ich will nicht orakeln, aber nicht alles muss so bleiben, wie es war.

Deshalb: Beteiligen Sie sich an meinem Aufruf an die „niedere menschliche Schwarmintelligenz“, zur Selbstregulierung der allzu gefräßigen großen Finanzindustrie. Leiten Sie das „freundliche Banken-Manifest“ an möglichst viele weiter. Denn viele Augen sehen mehr als zwei.

Written by lochmaier

November 13, 2009 um 7:50 am

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3 Antworten

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  1. Irgendwie fühle ich mich ins Jahr 1866 zurückversetzt. Damals schrieb Friedrich-Wilhelm Raiffeisen das Buch „Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung“ Ich besitze die überarbeitete Auflage aus dem Jahr 1966.
    Das Prinzip ist immer das Gleiche:
    – Menschen glauben si sind in einem System gut aufgehoben
    – sie sind damit überfordert es zu druchschauen, glauben aber daran das es für sie gut ist
    – kommen in eine Situation die sie nicht mehr selbst bewältigen können
    – benötigen fremde Hilfe, z . B. von einer Bank
    – werden dann vom System im Stich gelassen
    – die scheinbar funktionierenden Netzwerke oder Dienstleistungen erweisen sich als nicht tragfähig und wenden sich auch noch gegen die Hilfsbedürftigen
    Fazit: wenn man funktioniert ist man gut genug Geld in die Kassen zu spülen, wenn amn Hilfe braucht und ein Risiko darstellt ist man allein
    Um dieser Fehlentwicklung entwas entgegen zu setzen muß man wieder kleine, regionale Systeme einführen die unabhängig von den großen Unternehmen funktionieren – die Mikrofinanz in der dritten Welt macht es vor.

    Andreas Mankel

    Dezember 2, 2009 at 2:42 am


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