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Huffington Post: Windstill im Auge des Orkans

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In Deutschland kochen die Gemüter hoch. Die Befürworter und Gegner der neu gestarteten „Online-Gemischtwaren-Zeitung“ Huffington Post haben sich in Position gebracht. Jeder hat überzeugende Argumente. Für versierte Finanz- und Wirtschaftsblogger bietet das neue Format allerdings bislang kaum Profilierungschancen.

Vor einiger Zeit geriet ich in New York in einen Blizzard - vieles sieht man im Auge des Orkans klarer als sonst. Foto: Lothar Lochmaier

Vor einiger Zeit geriet ich in New York in einen Blizzard – vieles sieht man bei stürmischem Wetter klarer als sonst. Foto: Lothar Lochmaier

Es gibt im Internetzeitalter nur ein geschäftliches Prinzip: Wandle Dich stets, wenn Du willst, dass alles so bleibt. Aber selbst das klappt nicht immer. Und damit sind wir bei der Huffington Post (HP): Eine Zwittermarke mit vielen Ramschartikeln und den üblichen massenmedialen Zugpferden, so die gängige Kritik. Boris Becker sei stellvertrend für das abflachende Niveau gedankt! Aber man kann ja auch zu Muhammad Yunus weiter surfen, der einen Gastbeitrag Social Business und das Streben nach Glück geschrieben hat.

Negativ: Die Autoren treten ihre Rechte an den interaktiven Druckerzeugnissen komplett an die HP ab, moniert der Deutsche Journalistenverband. Das ist natürlich gravierend. (Aber wer im Glashaus sitzt….) Und bezahlt werden die sich freiwillig einbringenden „Haussklaven“ von der HP auch nicht. Die Empörungskurve schwillt nun bei Einigen bis zum Wutausbruch an – außer Spesen nichts gewesen, sagt der mahnende Fingerzeig der Kritiker.

Ist das wirklich so? Was bleibt, wenn die mediale Zerstörungswelle einer neuen Generation von Internetblättern alles Andere umzuwälzen droht? So dick wird es nicht kommen. Denn auch die HP kocht nur im hybriden Mix zwischen Boulevard und Information mit viel Wasser, in die sich ab und zu ein kleiner Tropfen edler Wein beimischt. Wenn die erste Neugier sich gelegt hat, pendeln sich die Leserzahlen ein.

Die HP ist vor allem eine Plattform für vieles Denkbare und Jedermann, keine eigene konsistente Marke. So wie beim Möbelhaus IKEA, es kommt drauf an, was Du daraus machst. Übrigens: Die potentielle Leserschaft wird kaum darauf hören, wie die professionelle Medienzunft über das neue Format urteilt, sie bildet sich ihre eigene Meinung und entscheidet letztlich über den Erfolg.

Die Zunft der Journalisten ist dabei vor allem als Moderator gefragt, nicht mehr als Türsteher, der jede Information steuert und kontrolliert. Deswegen eignet sich die HP als Durchlauferhitzer auch weniger für hauptamtliche Journalisten, sondern in erster Linie für Blogger und Experten im weitesten Sinne. Also für all jene, die noch etwas anderes zu verkaufen haben als nur die selbst mühsam recherchierten und geschriebenen Zeilen.

Allerdings sollten Blogger die Reichweite und Synergie überschätzen. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, sich im world wide web darzustellen. Will sagen: Jeder Blogger oder „Experte“ muss seinen eigenen Weg durch die medialen Steilküsten mit hohem Absturz- und Aufstiegspotential finden. Aber das Rad wird sich weiter drehen und die HP stößt in eine Lücke, an die deutsche Verleger und Medienakteure sich leider direkt nicht heran getraut haben, deren Ausmaß man aber auch nicht überbewerten sollte.

Scheidung boomt: Wirtschaftsblogs bleiben Randerscheinung

Betrachten wir statt philosophischer Exkurse lieber den ökonomischen Aspekt des Mediengeschäfts. So startete die Huffington Post Anfang 2011 die 26. Rubrik: „Scheidung“. Diese läuft von den Zugriffszahlen her betrachtet deutlich erfolgreicher als die beiden Kernressorts Politik und Wirtschaft.

Auch dies ist einerseits ein klarer Beleg, dass ein differenzierter Finanz- und Wirtschaftsjournalismus – auch auf der Basis von fachlich relevanten und gleichwohl allgemein verständlich präsentierten Debatten – sich quasi auf ein wohl temperiertes Spartenprogramm für Minderheiten reduziert.

Somit dürfte sich gerade dieses Spielfeld auch für versierte Finanzblogger, die nicht auf die breite Masse und die damit verbundenen Streuverluste schielen, abgesehen von dem einen oder anderen Testlauf kaum als qualitativ hochwertiger Resonanzverstärker eignen.

Die gelernte Lektion lautet deshalb: Publikumsmedien sind so gut wie der Bildungsstand der Bevölkerung in Sachen Wirtschaft und Finanzen, nämlich relativ niedrig. Die Funktionsprinzipien von auf den Massenmarkt zugeschnittenen Formaten lassen sich wie folgt charakterisieren:

Analog zur „Call-und-Put“ Funktion an den Kapitalmärkten

  • Es herrscht die Tendenz, nach oben oder nach unten zu spekulieren, wie es gerade opportun erscheint, wie es dem allgemeinen Kenntnistand und der situativ angebrachten Gerüchteküche entspricht
  • Wirtschaftliche und fachliche Komplexität bringt hingegen kaum Auflage
  • Das grundsätzliche Dilemma: Die Mainstream-Meinung liegt letztlich immer falsch
  • Fazit: Rund Drei Viertel aller Menschen verlieren an der Börse Geld. Nur ein Viertel gewinnt.

Deswegen bleiben wir, statt aufgeregter Debatten, lieber auf dem Boden der Tatsachen, zwischen journalistisch angehauchten Bloggern und bloggenden Journalisten. Ein bisschen mehr Forschergeist steht uns allen gut zu Gesicht. Zum Abschluss deshalb ein paar Thesen:

Nicht schreiben sollten jene freie Journalisten, die allein das als bodenständigen Hauptberuf gegen ein vernünftiges Honorar zu tun gewohnt sind.

Wer muss? B bis-C-bis-D-Promis, die kurz vor oder hinter dem Verfallsdatum stehen, müssen sogar auf der HP publizieren.

– Aber jetzt mal im Ernst: Es kann auf der HP auch derjenige publizieren, der anderweitig sein Geld verdient und in seiner Freizeit viel Spaß am Schreiben hat, aber nicht davon leben muss und will.

– Es können auch all diejenigen für die HP schreiben, die eitel, eingebildet und anerkennungssüchtig sind, die sich also gerne im Internet gedruckt lesen (das ist gar nicht zynisch gemeint, Menschen sind halt unterschiedlich).

– Es kann unabhängig vom Beruf auch derjenige unbezahlt schreiben, der dies als Teil einer größer angelegten Strategie ansieht, sich, sein Unternehmen oder seine Dienstleistung als Experte zu profilieren.

– Und publizieren in der HP können schließlich auch jene Menschen, die eine Leidenschaft oder ein Thema von gewisser Relevanz haben (Mode, Katzenfutter, Kochrezepte, aber auch ernsthafte Hobbies und Interessen). Das fällt dann irgendwie unter die vielschichtige Rubrik „soziale Rendite“.

– Und natürlich sind jene Glücklichen im Vorteil, die die HP längst als Teil einer erfolgreichen Monetarisierungsstrategie ihrer eigenen „Medienmarke“ und „Profilierung“ ansehen.

– Und dann kämen auch noch sonstige Freaks, Spinner und Phantasten in Frage (auch das ist nicht zynisch gemeint), um der Welt irgendwie-irgendwas über und mit den sozialen Medien mitzuteilen.

Habe ich was vergessen? Bitte ergänzen. Aufschlussreiche Kommentare jenseits von medialen Nebelkerzen in das eine wie das andere Extrem (Frontalkritik versus bedingungsloser Beweihräucherung) zur Huffington Post sind gerne willkommen, wegen der Windstille im Auge des Orkans …

Written by lochmaier

Oktober 22, 2013 um 7:59 am

Veröffentlicht in Uncategorized

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