Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Die Sprache des Geldes: Interview mit Anke Wahl über Geld und digitale Wirtschaft (Teil III)

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Im Interview verrät die Autorin, wie Geld unseren Alltag bestimmt, was sie über die wachsende soziale Schieflage denkt, und welche Chancen sie für neue internetbasierte Ansätze in der Finanzwelt sieht.

Dr. Anke Wahl forschte und lehrte viele Jahre an den Universitäten Heidelberg, Berlin (TU) und Tübingen in den Bereichen der Konsum- und Lebensstilforschung, der Geld- und Finanzsoziologie und der quantitativen empirischen Sozialforschung (Statistik). Sie studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Anglistik in Marburg, London und Heidelberg und promovierte an der TU Berlin mit einer Arbeit zum Wandel von Lebensstilen.

Social Banking 2.0: Der Lebensstil der jüngeren Generation hat sich durch den Einfluss des Internets und insbesondere der sozialen Netzwerke fundamental gewandelt. Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf den Umgang mit Geld?

Anke Wahl: Ich würde nicht soweit gehen und sagen, dass sich der Lebensstil der jüngeren Generation durch den Einfluss des Internets fundamental gewandelt hat. Auch die jüngeren Generationen müssen ihr Leben mit all seinen Herausforderungen angehen, ob mit Internet oder ohne. Die Aufgaben bleiben. Internet und soziale Netwerke beeinflussen das Zusammenleben der Menschen aber nachweislich, machen Kontaktmöglichkeiten, auch über Grenzen hinweg, leicht möglich, dynamisieren den globalen Austausch und flexibilisieren die Kommunikation. Andererseits lassen sich aber auch Tendenzen zur Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit nicht leugnen. Es lässt sich beobachten, dass es der jungen Generation zuweilen an Ausdauer, an Standfestigkeit, der Fähigkeit, sich intensiv mit einer Sache zu beschäftigen, fehlt. Wozu ein Buch lesen, wenn man bei Wikipedia nachschauen kann. Der Trend geht dahin, immer mehr Dinge in Bewegung zu erledigen. So werden künftig auch Bankgeschäfte, Überweisungen, Aktienkäufe, Geldanlagen etc. noch stärker von unterwegs aus getätigt werden.

Social Banking 2.0: Was hat Sie denn motiviert, ein Buch über die Sprache des Geldes zu schreiben?

Das Thema Geld, was es ist, wie es funktioniert und wie es die Menschen gebrauchen interessiert mich schon lange. Bereits während meines Studiums beschäftigte ich mich mit dem Philosophen Georg Simmel, der bereits im Jahr 1900 ein äußerst aufschlussreiches Buch zum Thema Geld veröffentlicht hat. Es trägt den Titel „Philosophie des Geldes“. Simmel untersucht in diesem Buch, welche Wirkung das Geld auf die Menschen und die Gesellschaft hat. Er zeigt auf, dass es Motor gesellschaftlicher Entwicklung ist und wie es auf unser Alltagsleben ausstrahlt, dass es Freiheit und Unabhängigkeit ohne es gar nicht geben kann. Es ist faszinierend zu sehen, wie aktuell seine Untersuchung auch heute noch ist, also 110 Jahre nach ihrem Erscheinen.

Social Banking 2.0: Wie sind Sie denn überhaupt auf diesen Titel gekommen?

Zu Beginn der Arbeit stand der Titel natürlich noch nicht fest. Der Arbeitstitel lautete noch etwas unspezifisch „Vom Umgang mit Geld“. Die Idee, das Buch „Die Sprache des Geldes“ zu nennen, kam mir erst im Laufe der Zeit. Und zwar als deutlich wurde, wie viel der Umgang mit Geld, wie wir es gebrauchen, verwenden und einsetzen mit uns und unserer Persönlichkeit zu tun hat, als mir klar wurde, wie viel es über uns verrät.

Social Banking 2.0: Wie würden Sie den bisherigen Forschungsstand zum Thema Geld beschreiben, wo sehen Sie die zentralen bislang noch unausgeleuchteten Stellen?

In der Soziologie wurde das Geld lange Zeit nicht explizit zum Thema gemacht. Seit Mitte der 1990er Jahre scheint sich die Situation allerdings zu ändern und es tauchen verstärkt Untersuchungen auf, die sich sowohl theoretisch als auch empirisch mit ihm auseinandersetzen. Vermutlich hat es lange Zeit zu reibungslos funktioniert, um in der Soziologie als Analysegegenstand wahrgenommen zu werden. Die Entwicklungen der New Economy zu Beginn des neuen Jahrtausends, die Zunahme sozialer Ungleichheit, größer werdende Verteilungsunterschiede, die Polarisierung von Arm und Reich rücken Fragen des Geldes wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Im Moment, so scheint mir, dominieren aber vor allem Fragen nach der Verteilung des Geldes, wer hat wie viel, wie viel Millionäre, gar Milliardäre gibt es in unserer Gesellschaft und wie entwickeln sich ihre Vermögen. Qualitative Fragen, was das Geld bei den Menschen bewirkt, wie es sie beeinflusst und prägt, werden, ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, was Geld denn überhaupt ist, hingegen nicht gestellt.

Social Banking 2.0: Warum ist Geld denn immer noch ein solch großes Tabuthema in unserer Gesellschaft?

Wie stark Geld unser Denken und Handeln prägt, ist den aller Wenigsten von uns wirklich bewusst. Ich glaube aber, dass die Menschen es ahnen. Sie ahnen, dass Geld beziehungsweise sein Umgang mit ihm bei genauerem Hinsehen viel über jeden Einzelnen von uns verrät, ja Geld das Medium ist, an dem Wahrheit und Unwahrheit des weltlichen Treibens, wie ich in meinem Buch geschrieben habe, unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Aus diesem Grund scheinen sie es vorzuziehen, das Geldgeheimnis nicht lüften zu wollen. Außerdem haben verschiedene Untersuchungen immer wieder feststellen können, dass das Finanzwissen der Deutschen nicht besonders gut ist. Mit Geldthemen beschäftigen sie sich nicht gern, und zwar auch dann nicht, wenn es um praktische und für sie nützliche Fragen geht, wie beispielsweise die Wahl einer geeigneten Geldanlage.

Social Banking 2.0: Sie vertreten in Ihrem Buch die These, dass Geld und unser Lebensstil verschiedene Seiten ein und derselben Medaille sind. Wie lässt sich diese Erkenntnis wissenschaftlich erhärten?

In meiner Untersuchung versuche ich eine Lücke zu schließen, die es in der soziologischen Lebensstilforschung schon lange gibt, indem ich die von den Menschen praktizierten Lebensstile als Resultate des Umgangs mit Geld interpretiere. Dieser Ansatz macht deutlich, dass die Lebensstile der Menschen das Ergebnis von Konsum-, aber auch Spar-, Anlage- und Investitionsentscheidungen sind und es stellt sich die Frage, ob die Komponenten miteinander zusammenhängen und wenn ja, wie die Beziehung zwischen ihnen genau aussieht. Wenn man diese Fragen beantworten will, muss man sich klar machen, dass Geld ein Medium ist – übrigens im Unterschied zu allen anderen Dingen auf der Welt -, mit dem sich fast alles erreichen lässt. Geld lässt sich in materielle, aber auch immaterielle Werte, eben in alles transformieren. Der Grund dafür liegt in seiner Substanzlosigkeit, die es uns ermöglicht, jeden nur denkbaren Wunsch auf es zu projizieren. Da wir aber immer nur über eine begrenzte Menge an Geld verfügen können, versuchen wir mit ihm das zu erreichen, was uns wirklich wichtig ist. Je nach Zuschreibung kann Geld also ganz unterschiedliche Bedeutung für uns haben, die dann sowohl unser Ausgabe- als auch Anlageverhalten bestimmt. Geld ruft unterschiedliche Lebensstile hervor und unterschiedliche Lebensstile rufen unterschiedliches Geld hervor. Empirisch lassen sich die theoretisch postulierten Zusammenhänge etwa mit Hilfe repräsentativer Daten und durch den Einsatz regressionsanalytischer Verfahren überprüfen.

Anke Wahl: Menschen mit Geld lassen sich schwerer kontrollieren als Menschen ohne Geld.

Social Banking 2.0: Bislang zeigt die etablierte Finanzindustrie wenig Neigung, sich vom bankenzentrischen Provisionsmodell im Vertrieb zu verabschieden. Hat die Finanzkrise denn gar nichts verändert?

Die Finanzkrise hat einige gravierende Veränderungen mit sich gebracht hat, die auch die Bankenlandschaft nachhaltig verändern werden. Kunden und Online-Kunden sind kritischer geworden. Während der Bankkunde bis vor kurzem noch darauf vertraute, dass die Bank mit seinem Geld umsichtig umgeht und ihn in seinem Sinne berät, ist das nun nicht mehr der Fall. Die Finanzkrise hat das Vertrauen in die Finanzökonomie und ihre Institutionen nachhaltig gestört, das Vertrauen ist verspielt. Dass die Dinge nicht wie gewohnt ihren Gang gehen, kann man schon allein daran sehen, dass kürzlich ein amerikanischer Internetblogger, der immerhin beim Finanzdienstleister SWIFT in der Innovationsabteilung arbeitet, im Netz dazu aufrief, gemeinsam eine Bank zu gründen, finanziert von Millionen Nutzern, die sich beispielsweise auch nur mit einem Dollar an diesem Projekt beteiligen. Nutzerzentrierte Modelle, die sich mit Begriffen wie Social Lending, Social Banking und Crowdfunding verbinden, werden zukünftig an Bedeutung gewinnen.

Social Banking 2.0: Sehen Sie denn in den neuen netzbasierten Anlegergemeinschaften etwas heraufziehen, das die Finanzindustrie in ihren Grundfesten erschüttern könnte?

Die nutzerzentrierten Modelle wie etwa die Web 2.0-basierte Fidor Bank, die virtuelle Kreditgemeinschaft von Smava oder Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter werden keine Randerscheinungen bleiben. Das Internet hat den einzigartigen Vorteil, Kommunikation über Grenzen hinweg schnell zu ermöglichen und damit natürlich nicht nur positive, sondern auch negative Entwicklungen sofort publik machen zu können. Es zerstört Hierarchien, fördert Demokratisierungsprozesse und schafft Transparenz. Dass ein Missstand unentdeckt bleibt, ist damit nahezu ausgeschlossen. Die Modelle halte ich schon allein deshalb für viel versprechend, weil sie den Bedürfnissen der Menschen nach aktiver Teilnahme, Einflussnahme, Transparenz und Information entgegenkommen. Sie passen in die neue Zeit.

Social Banking 2.0: Verschwindet die Welle der Empörung über Missstände in der Bankenwelt am Ende nicht doch im Nirwana der unbedeutenden Netzkommunikation?

Das wird natürlich auch vom Verhalten der einzelnen Netzteilnehmer abhängen. Je mehr sie hinterfragen und Kritik äußern, desto nachhaltiger wird die Entwicklung sein. Bewegungen sind immer nur so groß und umwälzend wie das Engagement ihrer Teilnehmer. Allerdings wird auch das Internet die Grundlage erfolgreichen Geldanlegens nicht ändern. Mit oder ohne Internet, geht es bei der Wahl der Geldanlage darum, Risikostrukturen abzuwägen, darüber nachzudenken, welches Risiko man bereit ist einzugehen, wie wichtig einem feste Zusagen etwa zu Zinssatz, Laufzeit etc. sind. Und auch der angeblich heiße Aktientipp aus der Social Community kann in die Irre führen. Nach wie vor ist der Aktienanleger eben nur dann erfolgreich, wenn er möglichst günstig kauft, also gerade dann, wenn der Tipp womöglich gar nicht mehr so heiß ist. Der Einfluss der Social Community sollte also nicht soweit gehen, dass er das selbständige Denken und die eigene Kritikfähigkeit ersetzt. Insgesamt gehe ich aber davon aus, dass die Finanzkrise die Menschen nachhaltig wach gerüttelt hat. Das Handeln von Bank- und Anlageberatern werden sie zukünftig kritisch hinerfragen, sie werden sich aber auch selbst intensiver mit Geldthemen befassen. Die Menschen haben begriffen, dass sie Teil der Entwicklung sind und dazu aufgerufen sind, diese mitzugestalten.

Social Banking 2.0: Was möchten Sie denn mit Ihrem Buch bewirken? Oder anders gefragt: Bringt uns wissenschaftliche Aufklärung tatsächlich weiter in Richtung mündiger Finanzverbraucher?

Mit meinem Buch möchte ich Bewusstsein schaffen. Ich möchte erreichen, dass die Menschen beginnen über Geld nachzudenken, dass sie erkennen, welch ungeheure Macht es verkörpert. Es ist für diejenigen, die es besitzen, ein Machtinstrumentarium ersten Ranges. Es bringt Gleichheiten und Ungleichheiten hervor, ist unter Umständen mit erheblichen Vor- und Nachteilen verbunden, es macht uns zu Gläubigern oder Schuldnern. Geld produziert Abhängigkeiten, ist aber auch die Voraussetzung für Unabhängigkeit. Menschen mit Geld lassen sich schwerer kontrollieren als Menschen ohne Geld. Es wäre viel gewonnen, wenn das Buch die Leserinnen und Leser dazu anregen könnte, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.

Social Banking 2.0: Noch eine letzte Frage: Bleibt das Privileg, in Gelddingen durchzublicken, nicht letztlich einer kleinen Elite vorbehalten?

Meiner Meinung nach sollte das oben Gesagte Ansporn für jeden sein, sich mit Geldthemen zu befassen, und zwar im eigenen und im Interesse der ganzen Gesellschaft.

Interview: Lothar Lochmaier

Und hier geht es zum ersten und zweiten Teil der dreiteiligen Buchpräsentation von Anke Wahl’s „Die Sprache des Geldes“:

Das Geld und die Sprache, die es spricht – Buchvorstellung der Berliner Finanzsoziologin Anke Wahl (Teil I)

Die Sprache des Geldes: Die provokantesten Zitate (Teil II) 

Kontakt zur Autorin: anke.wahl (at)web.de

Written by lochmaier

Juni 10, 2011 um 6:32 am

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Eine Antwort

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  1. Liebe Frau Wahl,

    vielen Dank für das Interview!
    Auch ich versuche, die Menschen zum Reden über Geld zu animieren. Gerade heute hätte ich (wäre ich nicht krank gewesen) auf der karmakonsum Konferenz einen Workshop zum Titel „Über Geld spricht man nicht.“ gemacht. http://www.karmakonsum.de/konferenz/greencamp/greencamp-2011-vorschlag-11/
    Toll, nun hier von Ihnen und Ihrer Forschung zu lesen.
    Das Buch habe ich mir bestellt.
    Ein schönes Wochenende (natürlich auch Ihnen Herr Lochmaier)

    Katharina Beck

    kathabeck

    Juni 10, 2011 at 3:04 pm


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