Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Wirtschaftsblogger: Die verkannte Größenordnung

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Ich habe vor Jahren schon Dutzende von Artikeln im Handelsblatt zu diversen Innovationsthemen veröffentlicht. Zum Beispiel darüber, wie man ein Drei-Liter-Haus baut, oder was passiert, wenn das Handy plötzlich Japanisch spricht.

Wenn die Leitmedien aber unter der fürstlichen Regie von Springers Matthias Döpfner sich jedoch dazu entschließen sollten, nur noch bezahlte Artikel im Netz zu veröffentlichen, und jeden in kostenpflichtigen Regress zu nehmen, der sich ohne Erlaubnis des Königs traut, darauf zu verlinken, dann würde ich diese Steilvorlage gerne aufgreifen, und nur noch auf mich selbst und andere Wirtschafts- und Finanzblogsverweisen, und natürlich auch sonstige spannende Quellen, die noch frei zugänglich wären. 

Ich weiß, jeder muss irgendwie sein Geld verdienen. Aber das Jammern des Copy-and-paste-Journalismus geht selbst mir als ein zu dieser Zunft zugehöriger auf den geistigen Zeiger. Das wäre gar kein Beinbruch, ich sehe das Thema Blogger versus Medien völlig entspannt. Ich bin beides in Personalunion. Die Welten ergänzen sich wunderbar.

Aber ebenfalls vor Jahren schrieb ich für die Financial Times Deutschland mal einen provokanten Beitrag, wie Designer ihre Beraterzünfte bei der Produktentwicklung ersetzen könnten. Ich weiß, Unternehmen lieben ihre externen Berater, die ihnen das sagen, was sie selbst meist auch schon wissen, wenn sie ehrlich wären.  Oder was sie nur deshalb hören wollen, weil sie es nicht umsetzen müssen. Oder weil es gar nicht umzusetzen ist – machen Sie sich doch selbst Ihren Reim zum Beraterspiel, das einem mehrteiligen dramatischen Akt von Shakespeare oftmals sehr ähnelt.

Will heißen: Es kommt auf die Inszenierung an, der Inhalt ist eher sekundär. Mein Artikel „David für Goliath: Wie Designer Berater ersetzen“ für die FTD sorgte vor planmäßiger Freigabe und geplanter Veröffentlichung plötzlich unerwartet für reichlich Diskussionsstoff. Festgemacht hatte ich die Geschichte an Details aus dem Innenleben von Microsoft, eigentlich nichts Spektakuläres, sondern eher etwas für Leser, die sich Handlungen auf den zweiten Blick erschließen.

Vor vier Jahren gab es in der deutschen Niederlassung Diskussionen um die Kundenfreundlichkeit der Produkte. Man diskutierte über die Produktentwicklungsroutine. Heute kennt schon jedes kleine Kind einen gelungenen Design-Prozess, seit der Apple-Begeisterung für iPhone und iPad. Jeder Bild-Leser weiß es, und kann sich für knapp zwei Euro ein App downloaden. Nur die Macher der deutschen Variante vom WePad mussten eine harte Lerkurve durchlaufen, da sie die ganzheitliche Designouvertüre knapp verfehlten.

Ein journalistischer Blogger, oder ein bloggender Journalist, Richard Gutjahr, brachte die Geschichte ans Licht. Klein David arbeitet nicht nur gegen Goliath, sondern ergänzt die wenig gesalzene Mediensuppe wunderbar durch neue Stilperspektiven zur Wirtschaft und Gesellschaft.       

 

Wirtschaftsblogs: Hier steppt der kleine Berliner Bär!     

Zurück zu meinem Artikel für die FTD: Er wurde am Ende von der Chefredaktion sogar höchst persönlich „mangels ausreichender Qualität“ in die virtuelle Tonne gefeuert, also nicht abgedruckt. Jetzt wissen es alle Leser dieses Weblogs, ich bin ein Versager, ein miserabler Journalist. Deshalb bloggt er jetzt auch, weil er nichts besseres zu tun hat – werden jetzt einige Zeigenossen hämisch ergänzen.

Genau – das Ganze war und ist für mich nicht allzu tragisch, das kam gelegentlich vor, dass ein Artikel mal eine Nullnummer wurde – es bestätigte aber für mich meinen Eindruck, dass ich meine Arbeit lieber jenseits des medialen Durchschnitts in den Fachmedien verrichten wollte. Dort eben, wo es langweilig zugeht.

Wo die Menschen sprich Leser sich eher für die Inhalte, und nicht nur für die bloßen Überschriften, interessieren. Kurzum: Für die FTD war ich zweifellos zu phantasievoll vorgegangen, zu weit in meinem Interpretationsspielraum jenseits der Fakten.

So textete ich beispielsweise in einem kleinen Kasten (ich war ja vorsichtig):  Welche „Fehler“ machen Consultants? Sie propagieren gebetsmühlenartig immer die gleichen „Prozessroutinen“. Sie sind ein Spiegelbild, ein Abklatsch der Auftraggeber. Hört sich das schlimm an?

Mein Fazit, das ich weiter unten dann fein säuberlich in einen weiteren kleinen Kasten verpackt hatte (das nennt man Infohäppchen): Die Ergebnisse der Berater seien meist vorhersehbar und böten wenig Innovationspotenzial. Und: Sie dienten eher zur Absicherung von internen Managemententscheidungen. Es herrsche also wenig Mut zu echter Kreation.

Genau – Sie verstehen in der Medienbranche auch nur Spanisch oder Bahnhof? Dann stelle ich in den Raum, dass man eine neue Fremdsprache durchaus lernen kann. Japanisch ist allerdings zugegebermaßen ziemlich schwer. Aber von der deutschen Sprache aus gesehen gibt es ja zahlreiche, teils recht witzige Dialekte, die auch schon herausfordernd genug sind.

Zur Sache: Schaut man sich das Top-Blogger-Rankingscore auf  wikio.de an, dann fällt zum Beispiel eines auf: Wirtschaftsblogs oder Finanzen besitzen meist gar keine eigene Rubrik, obwohl sie im Leserinteresse nicht nur die hinteren Plätze belegen. Fällt aber niemandem auf. Wir sind ja alle finanzielle Analphabeten wie in den USA, gefangen im Tal der Ahnunglosen, wie ich heute sogar mal den Spiegel zitieren darf.

Wir einschläg vorbestraften Wirtschaftsblogger geben es natürlch gerne neidlos zu: Wir stehen auf verlorenem Posten, allein im dunklen Datendschungel, dort, wo es richtig wehtut, sich inhaltlich schlau zu machen. Kurzum: Wir laufen in der Medienökonomie nur unter ferner liefen mit, irgendwo subsummiert, und in virtuelle Unterkästchen verschoben.

Wenn das kein Grund zum Wehklagen ist. So rangiert dieses Weblog Social Banking 2.0 in der Rubrik Gesellschaft bei wikio quasi irgendwo unsichtbar in den hinteren Rubrikschubladen versteckt. Nein, wir brauchen jetzt kein Mitleid, oder eine Wachstumsspende. Nicht die Eitelkeit füttert diese Zeilen. Schon eher der untergewichtete gesellschaftliche Stellenwert von Wirtschaft und Finanzen.

Denn es handelt sich halt um schwer verdauliche Themen, statt einem leicht verpackten Big-Burger, wie es die Leitmedien so gerne immer wieder neu verpackt servieren. Aber auch als Blogger wäre es viel besser, man schreibt heute über kleine Zipperlein oder coole Gerätschaften, die die Welt nicht unbedingt braucht. 

Kurzum, man postet das, was alle bis zum Einschlafen so bewegt, über die große Politik, über Promis, über nette Belanglosigkeiten, die trotzdem jeden zu interessieren scheinen. Oder der Blogger beleuchtet neben Sex, Drugs and postanythingforfree vermeintlich neue Meilensteine im digitalen Avantgardismus.

Zur Not kritisiert man eben Google und Facebook gleichzeitig, um sich ins Rampenlicht zu katapultieren. Genau darin liegt das Problem von uns Wirtschaftsbloggern, in der, jetzt kommt die Kernbotschaft: Kompläääääääxxxxxxxiiiiiiittttttäääääääätttttttt.

Wirtschaft ist ja sowas von schwierig, sie fordert einen wachen Geist, ebenso wie das Treiben auf den Finanzmärkten keine Kost für den Normalkonsumenten darstellt. Jetzt ist es raus, keiner versteht uns, wir uns auch nicht!? Nein, so weit würde ich nicht gehen.

Aber der Leserkreis von Wirtschafts- und Finanzblogs reduziert sich nicht auf kreativ aufbereitete Hausmannskost, sondern auf Menus für spezielle Gourmetliebhaber. Das ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Das kann ja auch schmackhaft sein, im Hinterzimmer zu essen, statt dort, wo es hektisch lärmend zugeht. Sicherlich, nicht jedes Blog erfüllt die höchsten Qualitätsansprüche, die Welt ist nicht schwarz oder weiß, manche Querverbindungen sind nicht so offensichtlich.

„Die“ Wirtschaftsblogger gibt es nicht. Jedes Blog ist anders, es gibt keine objektiven Maßstäbe zur Erfolgsmessung. Wir wollen übrigens die Medienwelt nicht komplett umkrempeln, aber wir haben Spaß daran, als kreative Störenfriede des Burgfriedens in der großen Medienwelle zu agieren. Vielleicht ändert sich ja die Betrachtungslinse in der Gesellschaft noch, unter dem Eindruck der kommenden Jahre, wenn …. ja wenn, das Wörtchen wenn nicht wär.

Oder: Wenn sich die Menschen endlich für das interessieren, was sie am meisten scheuen, was aber das wichtigste Thema im Leben neben Liebe und der Gesundheit ist.- okay, Sex geht hier ersatzweise auch mal: Die Welt der Finanzen, oder wie Social Banking 2.0 es so gerne ausdrückt: Der Kunde übernimmt in diesem Jahrhundert in vielen Wirtschaftsbereichen die Regie.

Das soll aber keine leere Phrase sein, sondern einen schleichenden Trend beschreiben. Der gehörnte Kunde greift zumindest vielerorts ins Ruder der Kapitäne, um es vorsichtiger auszudrücken.

Das Teuflische daran, ist das Engelhafte darin: Leider reden Menschen über das, was sie am meisten drückt oder bewegt, nicht so gerne wie über Nebensächliches, mit dessen Hilfe sie sich von großen Existenzfragen ablenken. Zum Beispiel über das liebe Geld.

Klar, da brummt einem ja der Schädel vom Nachdenken und der medialen Bewusstseinswerdung, den lieben langen Tag. Und wer richtet den Spiegel schon gerne rund um die Uhr auf sich selbst. Den Wirtschaftsblogs bleibt also noch viel zu tun, indem sie Schwieriges auf verständliche Art und Weise plausibel und interessant machen. 

Der Hoffnungsträger: Die regulären Wirtschafts- und Finanzmedien verstärken in ihrer zumeist konventionell angelegten Berichterstattung den Gähnfaktor beim (nachdenklichen) multimedialen Endanwender.

Im allgemeinen Medien-Blitzlicht sucht man nämlich die wirklich wichtigen ökonomischen und finanziell relevanten Informationen meist vergebens, weshalb auf mittlere Sicht die Blogosphäre gerade in den Kernbereichen des menschlichen Daseins weiter an Schwung gewinnt. Ist doch mal eine interessante Prognose, so sicher wie das Geld auf einer Bank und das Amen in der Kirche.

Und hier gehören neben Liebe (alternativ: Viagra) und Gesundheit (alternativ: Glückspillen und Hormone) auch die Wirtschafts- und Finanzblogger zu den gesetzten Größenordnungen, falls so manchem nicht vorher die Puste ausgeht, beim Rennen um die kleinen Aufmerksamkeitshäppchen im verteilten virtuellen Resonanzbecken. Dann aber rückt flugs der nächste frische Wirtschaftsblogger nach. Die Reservearmee ist ja endlos auf Lager vorrätig.

Und hier beschreibt Prof. Peter Kruse ausführlich, wie Menschen auf die wachsende Komplexität in unserer (Medien)Welt reagieren – da bleibt auch für die Wirtschaftsblogger viel Futter übrig, um es aufzulesen und zu verarbeiten, denn manche Menschen versuchen mit neuen Ideen eine Antwort auf die Kompläxidäd zu geben:

Ganz am Ende komme ich nun zurück auf meinen ursprünglichen, vor ein paar Jahren mal für die FTD vorgesehenen Artikel, in dem ich am Ende die zugegebenermaßen kontroverse Frage zu beantworten suchte, warum Designer das schaffen, was Consultants in der Produktentwicklung vielleicht gar nicht ins Auge fassen:

 > Weil sie die emotionalen Komponenten von Projekten aus Kundenperspektive besser einschätzen und zweitens besser darstellen können

> Weil sie gedanklich freier sind und weniger in allgemein bekannten Methoden verhaftet

> Weil sie von ihrem Werdegang und Ausbildung her weniger in Konkurrenz zum Auftraggeber stehen, und somit „Narrenfreiheit“ im positiven Sinne genießen

> Weil Designer Menschen sind, die für die Unternehmer ungewöhnlich sind, weniger angepasst, interessant, inspirierend

> Ein ungewöhnlich „hoher Spaßfaktor, Prozesse zu durchlaufen, was zu ungewöhnlich hoher Identifikation der Teilnehmer mit den Ergebnissen führen kann

Jetzt ist es raus, denn hier über meinen eigenen kleinen Mediensender kann ich diese Botschaften ja wengistens mal abdrucken. Man spricht ja heute vom „liquid Mediendesign“, aber auch das ist jetzt ein neues, wieder mal hoch komplexes Thema, und der Beitrag ist jetzt schon viel zu lange geworden.  Bis zum nächsten Mal – in der bunten Welt der vielfach verkannten Größenordnungen. Hier noch eine visuelle Inspiration:

Written by lochmaier

November 16, 2010 um 8:25 am

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Eine Antwort

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  1. Schöne Darstellung aus dem Seelenleben eines Wirtschaftsblogs.

    Es bleibt vorerst bei der schon häufig zwischen uns diskutierten Tatsache: Wirtschaftsthemen sind in Deutschland nicht populär.

    Medien, auch die Qualitätsmedien, versuchen Themen aus der Ökonomie populär und manchmal reißerisch aufzubereiten. Ich weiß nicht, ob das ankommt. Dazu müssen sie tatsächlich Komplexität zu stark reduzieren.

    Und gerade in die Lücke dieser Komplexitätsreduktion, die viele Blogger und deren Leser nicht mögen, stoßen die Wirtschaftsblogs hinein.

    Ich weiß nicht, ob Wirtschaftsblogs verkannt werden. Unsere Themen halte ich häufig für relevant, sie sind aber nicht so leichtgängig wie eine britische Prinzenhochzeit. Die ist zwar nicht relevant, dafür aber populär.

    dels

    November 17, 2010 at 4:37 pm


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