Innovationsstrategien (2): Warum Bill Gates in Berlin investiert
Jenseits vom Hype um die junge Gründerszene gibt es viele Gründe, warum unsere Wirtschaft sich neu orientieren sollte.
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) hat kürzlich eine strukturelle Bestandsaufnahme der deutschen Gründerszene veröffentlicht. Die immerhin 114 Seiten umfassende Studie, die den Titel „Zukunft der Gründungsförderung – neue Trends und innovative Instrumente“ trägt, kann hier herunter geladen werden.
Die Kernbotschaft der Expertise aus der Feder des Beratungshauses evers & jung dürfte auf den ersten Blick kaum überraschend sein: Es schreiten vor allem junge Unternehmensgründer zur Tat, die Entwicklung weg von der klassischen Produktion und Dienstleistungsökonomie hin zu einer digitalen Netzwerkökonomie voran zu treiben. Der Trend ist durch fünf Charakteristiken geprägt:
Erstens: Die Gründer suchen und prägen neue Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung und Kontaktaufnahme via Crowdinvesting und Crowdsourcing.
Zweitens: Neue Partnermodelle basieren deutlich stärker als bisher auf dem Netzwerkgedanken und der Vermittlung von Kontakten über Online-Plattformen, um von anderen zu profitieren. Mit reinem Altruismus hat dies freilich nicht viel zu tun. Es ist ein pragmatischer Weg, von anderen und gemeinsam zu profitieren.
Drittens: Ein weiterer Trend ist die Industrialisierung von Startups, bei der eine Unternehmensgründung durch einen standardisierten und beschleunigten Gründungsprozess stattfindet, die von einem Company Builder und Start-up bzw. Business Accelerator unterstützt wird.
Viertens: Es gibt einen Trend zum Outsourcing von Gründungsdienstleistungen und ein verstärktes Angebot für gründungsphasenspezifische Dienstleistungen und Produkte über Internet-Portale.
Fünftens: Dadurch wandelt sich auch das Bild des Unternehmers in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Die Gründung eines eigenen Unternehmens wird für weitere Zielgruppen zur ernsthaften Option. Gründung wird „chic“. Infolge dessen entstehen trotz einer in Deutschland relativ Risikoaversen Kultur neue und vielfältige Gründungstypen, was heterogene Geschäftskonzepte und innovative Prozesse beschleunigt, was man auch immer unter diesem schillernden Begriff verstehen mag.
Quelle: BMWI/evers & jung/LL
Im Ergebnis entsteht laut der Studie eine heterogene und vielgestaltige Gründungslandschaft in Deutschland, was neue Chancen offeriere, Wachstumsimpulse für die gesamte Volkswirtschaft zu setzen. Wer sich das Papier aufmerksam durchgelesen hat, findet darin gerade als „betrieblicher Innovationsbeauftragter“, oder neudeutsch: Business Development oder Innovation Manager, eine Reihe von interessanten Angriffspunkten für das eigene Aufgabendesign.
Zum einen bleibt jenseits des Gründerhypes festzuhalten, dass von einer deutschen Willkommenskultur für Startup-Gründer nicht allzu viel zu bemerken ist. Denn nach wie steht hierzulande kaum Risiko- und Wagniskapital zur Verfügung. Auch mangelt es an professionellen Strukturen wie etwa im Silicon Valley, um die Akteure aus Forschung, Industrie und Gründerszene effizient miteinander zu vernetzen.
Fest steht auch: Weder bringen das Internet und seine Geschäftsmodelle neue Arbeitsplätze für die Massen hervor, noch ist im Web 2.0-Zeitalter zwingend eine etablierte Infrastruktur notwendig, um etwas Neues auf die Beine zu stellen. Eine offene Frage ist vielmehr, ob sich die selbst proklamierte neue deutsche Startup-Generation jenseits vom geistigen Raubkopieren einen Namen machen kann. Und diese Rolle beansprucht die neue Generation zumindest in Teilen zweifellos.
Die wichtigste Nachricht lautet somit: Es werden nicht nur Ideen aus den USA kopiert und nachgeahmt, sondern es entstehen eigenständige Konzepte mit gewissem Charme. Zu den wichtigsten Vertretern aus Berlins kleinem Silicon Valley gehört ResearchGate, eine Art Facebook für Wissenschaftler. Das von drei Forschern aus Boston entwickelte Portal strebt als soziales Netzwerk für die Wissenschaft nach einer weltweiten Führungsrolle. Und das Unternehmen entschied sich ganz bewusst für Berlin als Standort. Vor kurzem investierte immerhin kein Geringerer als Microsoft-Gründer Bill Gates frisches Geld in das aufstrebende Unternehmen.
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