Social Media@Versicherung: Zwischen Vertriebskanal und Community-Modell
Es könnte ein Gerichtsurteil mit Signalwirkung sein, über das Spiegel online und andere gestern informierten: Große Teile von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen des Allianz-Konzerns seien nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart intransparent – und somit unwirksam. Es geht dabei um zu geringe Rückkaufswerte und zu Unrecht einbehaltene Stornoabzüge, die die Allianz Lebensversicherungs-AG vom 1. Juli 2001 bis Ende 2007 verwendet hat.
Wir bilanzieren: Nicht jeder verändert sich freiwillig zum Besseren. Schaut man sich passend dazu die im Netz präsenten Kunden-Portale und Unternehmensblogs deutscher Versicherungen an, so merkt man bislang wenig vom Geist des Wandels. Meist handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen, modisch verpackt. Beispiele sind etwa das Ideenforum der Cosmosdirekt oder die Kundenwerkstatt von Ergo, über die ich auf diesem Blog aus gutem Grund bereits mehrfach berichtet habe.
Kurzum: Bislang ist Transparenz wohl kaum ein Eckpfeiler in der Unternehmensphilosophie von Versicherungen. Das verwundert aber nicht weiters, sind doch drei von vier Versicherungen für den Kunden völlig überflüssig – und nützen vor allem nur der einen Seite.
Da stellt sich die Frage: Warum sollte eine vor allem an der eigenen Rendite bzw. der hohen Abschlussprovision orientierte Versicherungsindustrie hier gerade Transparenz schaffen wollen? Für mich ist Partizipation in der Produktgestaltung das zentrale Argument. Transparenz ist ein weitgehend unkritisch übernommener Begriff von geringer Aussagekraft.
Derartige Portale sind im Sinne einer offeneren und direkteren Kommunikation sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber wohl gemerkt, es geht hier möglicherweise auch um den Verzicht von Gewinn und Marge, wenn offen gelegt wird, welches wirklich die Gründe sind, warum der Kunde gerade dieses oder jenes Produkt kaufen soll.
Aber: Den Kunden einfach reden zu lassen oder ihm ein paar Zuckerhäppchen fürs Mitmachen hinzuwerfen, ohne etwas ändern zu müssen, reicht definitiv nicht aus. Das ist kein Social Media Konzept.
Der RUV-Blog ist sicherlich ein Beispiel, dass der Dialog auf lebendige Art und Weise funktionieren könnte. Aber auch das ist deutlich ausbaufähig, wenn es um die Produkte geht. Ergo ist derzeit sicherlich ein Sonderfall in der Geschichte. Denn man kann ja fast zynisch auch argumentieren, dass trotz der negativen Presseberichte und dem teils unprofessionellen Krisenmanagements kaum Kunden abgewandert sind. Offenbar halten die Kunden auch Unternehmen die Stange, die sie nicht wirklich mögen.
Aber Vorsicht vor allzu simplen Rückschlüssen: Die zwiespältige Kundenloyalität fällt gerade bei den Versicherungen nicht besonders schwer, denn die Verträge sind ja meist langfristig und beinhalten kaum Ausstiegsklauseln. Insofern ist der Kunde hier ziemlich gebunden, wenn nicht sogar gefesselt an den Anbieter. Jeder Aus- oder Umstieg aus einem Versicherungsvertrag ist für den Kunden mit extrem hohen Kosten verbunden.
Es gibt übrigens kaum flexible Produktmodelle, die den gesellschaftlichen Paradigmen- und Wertewandel zugunsten des Kunden abbilden. Hier kann Social Media aber nur einen Beitrag leisten, wenn der Anbieter genau das tut, nämlich Produkte, die einem nicht nur ein perfektes Sicherheitsgefühl vorgaukeln, sondern tatsächlich einen planbaren Horizont eröffnen, der auch flexible Wechselmöglichkeiten einschließt, um sich besser an neue Trends anpassen zu können. Die Welt ist volatil geworden und die Versicherungen tun immer noch so, als ob man alle Risiken in ein Rundum-Sorglos-Paket verpacken könnte.
Warum Social Media ein zweischneidiges Schwert ist
Die Unternehmen aus der Versicherungsbranche sehen Social Media tatsächlich eher als verlängerten Vertriebs- und Marketingkanal. Man kann Fans auch durch Geschenke kaufen, das ist aber längerfristig betrachtet weder eine gute Einstellung, noch bringt das einen konkreten Mehrwert. Wieweit Web 2.0-basierte Portale tatsächlich an der Produktgestaltung etwas ändern, bzw. inwieweit die Kunden diese mit beeinflussen, das steht freilich noch in den Sternen.
Das wäre deutlich mehr als nur passive Stimmungsbarometer anzulegen, um auszuspionieren, wie man die Webcommunity am besten auf seine Seite ziehen kann. Dafür müsste sich zunächst die Chefetage ernsthaft interessieren, um die Geschäftsphilosophie tatsächlich neu zu justieren.
Was Tools für das Benchmarking angeht, so stehen wir jenseits von Kaffeeleserei und bunten hübschen, aber kaum aussagekräftigen Social Media Kennzahlen, erst am Anfang der Entwicklung. Fazit: In erster Linie genutzt wird Social Media zum passiven Trendmonitoring, statt zu einer vollständig integrierten Öffentlichkeitsarbeit 2.0, die freilich ein Umdenken ganz oben voraussetzt.
Es gibt provokant ausgedrückt keinen Nachholbedarf, wenn man überwiegend eine aufgeblähte Produktpalette mit zu hohen Kosten hat, die so keiner braucht. Deshalb gilt die unausgesprochene Branchenformel: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Blicken wir dennoch auf das andere Ufer, auf das aber kaum ein Anbieter übersetzen will. Dadurch vergibt man sich die einmalige Chance, bestimmte attraktive Zielgruppen auf intelligente Art und Weise anzusprechen. Und zwar auf Augenhöhe, indem man diesen nicht nur einen künstlichen Bedarf und ein letztlich unerreichbares Sicherheitsniveau einflüstert, sondern tatsächlich Lösungen für ein bestimmtes reales Problem anbietet.
Da könnten spezielle Social Media Kampagnen, so sie denn kreativ wie ein gutes Filmdrehbuch mitten aus dem Leben umgesetzt sind, durchaus einen Lösungsbeitrag leisten. Mit plakativen Gewinnspielen ist ein optimaler Auftritt in den sozialen Netzwerken jedenfalls nicht zu erreichen.
Gehört die Zukunft der Peer-to-Peer-Insurance?
Fazit: Und da in der Branche vieles so bleibt, wie es war, gibt es auch hier neue Ansätze wie friendsurance, wo der Kunde mit Hilfe der Social Community seine Versicherungskosten halbieren soll. Das klingt allerdings reichlich ambitioniert, stellt doch eine crowdbasierte Versicherungsmathematik erheblich höhere Anforderungen an die Betreiber als etwa beim Verleihen eines Peer-to-Peer-Kredites.
Schaut man sich die Presseresonanz zu Friendsurance an, so hat sich indes bereits ein ausgeprägter Hype um dieses „ebay der Versicherungen“ gebildet. Zweifellos fallen solche Modelle auf fruchtbaren Boden, wie das Carsharing, Crowdfunding und andere Ideen, wo das Motto gilt: Gemeinsam stärker! In meinem Buch Die Bank sind wir kann man jedoch auch die konzeptionellen Herausforderungen nachvollziehen.
Zitieren wir mal aus der Selbsbeschreibung der Macher:
Schließen sich mehrere Freunde auf der Online-Plattform zusammen, erhalten sie im Schnitt 50% ihrer Jahresbeiträge zurück, wenn im Freundeskreis kein Schaden passiert. Doch auch wenn im Freundeskreis einmal mehr als ein Missgeschick passiert: Finanziell können alle nur gewinnen.
Und so funktioniert es konkret: Durch den Zusammenschluss in virtuelle „Sicherheitsnetze“ (z.B. für die Haftpflichtversicherung) verpflichten sich die Mitglieder, sich im Schadensfall gegenseitig mit einem kleinen Betrag, bspw. 30 Euro, zu unterstützen. Dafür werden die laufenden Versicherungsbeiträge für alle Beteiligten günstiger: Die Ersparnis erfolgt in Form einer Bonuszahlung am Ende des Jahres und kann je nach Versicherungsart bei 40-60% auf den Basisbeitrag liegen.
Falls im Freundeskreis Schäden eingereicht werden, fällt die Bonuszahlung entsprechend kleiner aus: Freundeskreise, die wenige Schäden verursachen, werden also belohnt. Aber selbst wenn innerhalb eines Sicherheitsnetzes mal viele Schäden entstehen, entsteht den Mitgliedern kein Verlust: Denn mehr als den Basisbeitrag muss bei Friendsurance keiner zahlen. Diese „Du-kannst-nur-gewinnen-Versicherung“ macht das Friendsurance-Modell 100%ig risikofrei für die versicherten Freundeskreise.
Schließlich aber besteht eine Versicherung nicht nur aus kostengünstigen Beiträgen, sondern auch aus Schadensfällen. Und erst wenn dieser eintritt, sieht man das Preis-Leistungsverhältnis hinter dem Konzept. Was meinen denn die Leser zu diesem neuen gemeinschaftsbasierten Konzept? Kann die „Rechnung“ aufgehen? Und wenn ja, für welche Produkte?
Siehe dazu meinen Beitrag: Lebensversicherung: Wenn 91 Millionen Luftballons plötzlich platzen.
Wir bilanzieren unter dem Strich das Positive. Auf alle Fälle ist Bewegung in einen festgefahrenen Markt gekommen, was sich auch in einem Überblicksbeitrag auf Procontraonline nachlesen lässt. Das dortige Fazit fällt bezeichnenderweise so aus: Für den Versicherer auf Gegenseitigkeit ist das Konzept „eine moderne Übersetzung“ der „eigentlich alten Idee“ von der Risikogemeinschaft. Wie weit die im Social Web trägt, das muss die Zukunft zeigen.
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News des Tages – 25.08.2011 « André M. Bajorats Link Sammlung
August 25, 2011 at 7:53 am