Wirtschaftsaufschwung kommt: Glaube nur der Statistik, die du selbst fälschst
Es gibt einige einfache Zahlenspiele, die zeigen, dass nicht so viel dran ist, an dem derzeitigen Gerede um den „Wirtschaftsaufschwung“ aus der Rezession. Leider neigen die Menschen dazu, die Welt entweder nur schwarz oder nur weiß zu sehen.
Entweder es herrscht Weltuntergangsstimmung, wie nach dem Ausbruch der Finanzkrise, oder alle wollen plötzlich wieder vergessen, dass es überhaupt jemals eine Wirtschaftskrise gab. Die Zeit heilt alle Wunden. Die Restarbeit in der Bewusstseinstrübung übernimmt die Daily Soap im Fernsehen.
Und zur Zeit herrscht Optimismus – immer positiv denken, finden wir ja prinzipiell gut. Doch sind die Auftragsbücher wirklich wieder voll, die Bankbilanzen konsolidiert und zukunftsfest gemacht?
Zum ersten: Wer nach einem Abschwung – wie bei unserem Rückgrat, der deutschen Industrie, der Fall – mit Umsatzeinbrüchen von etwa 20 bis 60 Prozent klar kommen muss, freut sich über jedes Prozentpunkt, den es nach dem Erreichen der Talsohle wieder nach oben geht.
Statistisch gesehen ist das natürlich eine „Milchmännerrechnung“ – denn wenn es nach einem Drittel runter wieder fünf Prozent rauf geht, dann bleibt unter dem Strich immer noch ein dickes Minus. Im Klartext: Ein Gesamt gesellschaftliches Wirtschaftswachstum leicht über der Nulllinie wird sich erst über Jahre hinweg wieder einstellen, wenn überhaupt.
Aber auch das ist Augenwischerei. Glaube nur der Statistik, die du selbst fälschst. Dieses Zitat ist übrigens auch gefälscht, denn es stammt nicht von Winston Churchill, dem früheren britischen Premierminister, wie viele glauben, lässt sich beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg ausführlich nachlesen:
http://www.statistik-bw.de/Veroeffentl/Monatshefte/PDF/Beitrag04_11_11.pdf#search=%22Winston Churchill%22
So sieht der Mittelwert in der Statistik schon eher aus: Ein Großteil der Gesellschaft wird sich mit einer anders getakteten Ökonomie zurecht finden müssen, selbst wenn Banken noch oder schon wieder hohe Renditen einfahren. Damit ist auch die zweite Frage oben beantwortet – noch immer thronen die Verantwortlichen wie ehedem der französische Landadel über der Gesellschaft.
Der Vergleich ist durchaus nicht übertrieben, denn wie das Wall Street Journal berichtet, hat Cheronda Guyton, stellvertretender Vorsitzender des Finanzdienstleisters Wells Fargo, die selbst Hunderte Häuser zum Zwangsverkauf verwaltet, in einer Zwölf-Millionen-Dollar-Villa am Strand von Malibu eine Party geschmissen. Die ehemaligen Bewohner hätten ihr Domizil aufgeben und es Wells Fargo überlassen müssen, um ihre Schulden zu begleichen.
Eigentlich eine coole Idee, auf dem Grab anderer zu tanzen. Noch dazu, wenn man zumindest mitverantwortlich gewesen ist, die besagten Personen dort hinein zu stoßen – klingt fast wie Leichenfledderei – Mehr dazu:
http://blogs.wsj.com/deals/2009/09/11/living-large-wells-fargo-executive-squats-in-foreclosed-house/
Zum seltsamen Paarungsverhalten moderner Banker siehe auch das Interview mit dem Börseninsider Dirk Müller: „Risikogeschäfte: Banken fahren wieder heiße Reifen“ – in Die Presse:
http://diepresse.com/home/wirtschaft/finanzkrise/508364/index.do?_vl_backlink=/home/index.do
Wer diesen Artikel gelesen hat, wird der Aufschwungseuphorie kaum folgen. Viele werden vom angeblichen Wiederaufschwung indes – wie schon in den letzten beiden Jahrzehnten – wenig bis gar nichts spüren. Sicherlich, ein Teil der Gesellschaft wird sich retten. Insgesamt agieren wir aber wie ein in die Jahre gekommener Balletttänzer, dem der Spagat immer schwerer fällt, in diesem Fall der zwischen Arm und Reich.
Können wir die von „Overengineering“ geprägte Wirtschaft und unser Konsumverhalten anders denken – und das Rad zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit neu erfinden? Das beleuchtet ein Artikel in die ZEIT:
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