Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Honorarberatung boomt: Neue = alte Bankenphilosophie?

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Wer gestern abend das Fernsehduell der Kanzlerkandidaten zwischen Angela Merkel und dem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier verfolgte, und dabei nicht einschlief, der konnte gleich zu Beginn von Frau Merkel folgendes hören: Man sei bereit in der Bankberatung die Umkehr der Beweislast einzuführen. Sprich die Finanzberater müssten künftig nachweisen, dass sie richtig und umfassend beraten haben, und nicht der Kunde sei gefordert, die fehler- oder lückenhafte Beratung zu dokumentieren.

Das klang gut – ist aber nichts als billiger Populismus. Der Kunde sitzt nicht am Schalthebel – und auch das Verbraucherschutzministerium ist nur ein Papiertiger. Aber nehmen wir doch die Branche selbst unter die Lupe, die sich jetzt auf ein vermeintlich neues Ziel ausrichtet.  In der Tat – Derzeit überlegen einige Banken, ob sie auf die Honorarberatung umsteigen.

Das klingt gut, in der Praxis ist es aber nur ein „Verschiebebahnhof“ von Kosten und Gebühren auf andere, besser klingende Buchhaltungsposten – z.B. von Ausgabeaufschlägen bei Aktienfonds und Zertifikaten auf jährliche Managementgebühren. 

Nehmen wir das Beispiel „Zertifikate“, der Spiegel greift das Thema auf, unter dem Titel „Schlechte Bankberatung – Teufelszeug für Ahnungslose“, und sieht die neuen Überrollbügel am fahrenden Express der Finanzindustrie bereits wieder mit hohem Tempo in der Vorwärtsbewegung:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,647857,00.html

Trotzdem berichtet die Financial Times Deutschland über Fortschritte in der Honorarberatung:

http://www.ftd.de/boersen_maerkte/aktien/marktberichte/:Anlageberatung-Volle-Konzentration-auf-den-Kunden/553477.html 

Wie realistisch sind neue Erlös- und Geschäftsmodelle in der Bankenwirtschaft mit Blick aufs Private Banking tatsächlich? Bislang ist abgesehen von der Quirin Bank – die das Modell der Honorarberatung konsequent verfolgt, aber immer noch zu den Außenseitern gehört, wenngleich mit Wachstumspotenzial  –  wenig von der neuen nachhaltigen Bankenwelt der kundenorientierten Honorarberatung zu spüren. Oder haben wir da was übersehen?

Richtig …. denn offenbar probt jetzt sogar die Commerzbank vorsichtig die neue Welt der interaktiven Beratung auf gleicher Augenhöhe mit dem Klienten, berichtet jedenfalls die Financial Times Deutschland:

http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdienstleister/:versuch-commerzbank-probt-honorarberatung/50005482.html

Hm… klingt eigentlich gut – Aber: Die größte Gefahr bei dieser jetzt offenbar grassierenden Euphorie besteht darin, dass der neue Honorarmix die nächste Variante der Irreführung von Verbrauchern darstellt, indem mal wieder im Kleingedruckten auf zusätzliche Elemente hingewiesen wird -, so dass keiner versteht, was sind jetzt feste und was variable Gebühren. Da hilft auch kein Taschenrechner mehr.

Die Hauptsache, die Marge stimmt, denkt der Insider, so wie bei den Aktienfonds, wo die Ausgabeaufschläge und sonstigen Nebenkosten je nach Produktmix durchaus zwischen fünf bis zehn Prozent betragen. 

Komisch nur, dass es bei den meisten Fondsprodukten mit dem Fahrstuhl rasch runter geht, wenn die Börse grad mal wieder schwächelt, der Weg nach oben aber langsam und steinig wie im Schneckentempo verläuft. Wo bleibt eigentlich das aktive Fondsmanagement? 

Wer sich nochmal vor Augen führen will, wie das Provisionsmodell in der Bankenberatung aussieht, kann das in einem netten Videoclip „Finanzhai am Werk“ tun, den die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ins Netz gestellt hat (den würden einige gerne rasch aus dem Netz entfernt haben):

http://www.youtube.com/watch?v=43-ILToDnqU

Bundesverbraucherministerin Ilse Eigner regt nun sogar ein komplettes Abrücken der Branche vom provisionsbezogenen Produktverkauf an:

http://www.welt.de/finanzen/article4500779/Aigner-plant-noch-besseren-Schutz-fuer-Anleger.html

Die Forderung ist wie die von Angela Merkel nach einer Umkehr der Beweislast eine rein populistische Maßnahme, im Verbraucherschutzministerium geben sich viele Lobbyisten die Klinke in die Hand – Realistisch erscheint jedoch der oben beschriebene kreative Methodenmix, der die Grenzlinie zwischen festen und variablen Gebühren verwischt, zum Vorteil der Kunden? Schon eher trifft ein Artikel in die „ZEIT“ den Nerv der Zeit: Zocken will nämlich gelernt sein:

http://www.zeit.de/online/2009/33/traumberuf-investmentbanker

Die Bankenwirtschaft wirbt trotz gesetzlicher Bestrebungen, die Profitsucht durch weniger verbindliche Bonimodelle zu begrenzen – s. den Kommentar zum Papiertiger MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement in der Finanzindustrie) in der Börsenzeitung – auch weiterhin mit der Bonusorientierung:

http://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2009155090

… und die Banken suchen auch weiterhin aggressiv nach neuem Personal und sie werben mit hohen Verdienstmöglichkeiten – das dürften wohl auch weiterhin nicht unbedingt langfristig ausgerichtete vertriebs- und verkaufsgetriebene Boni sein, vielleicht werden sie ja demnächst noch rasch umetikettiert, wovon der Verbraucher natürlich nicht viel mitkriegen soll:

http://www.zeit.de/2009/17/Banker-gesucht

So bleibt es letztlich bei einer kritischen Betrachtung, dass das, was derzeit passiert, nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. In einem Interview mit dem Spiegel „Der Kapitalismus macht krank“ sieht auch der renommierte Psychoanalytiker  Horst-Eberhard Richter ernste Vorzeichen einer weiter anhaltenden, vor allem durch die Profitgier angeheizten, systemischen Krise, Zitat:

Richter: Heute grassiert nur Unmut über die Bankenbranche. Doch der lässt sich schwer abreagieren, weil die Banken größtenteils nur ihren Job erledigt haben, meist ohne gegen Gesetze zu verstoßen.

Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,643304,00.html

Fazit: Erst wenn der „Geist“ sich ändert, bewirken auch Gesetze und Verordnungen, dass das Raubtier wieder an die Leine kommt. Das klingt nach einem moralischen Appell, der meist nicht viel bringt.

Aber auch so könnte die Stunde von Social Banking 2.0 geschlagen haben, sofern die kreative Schwarmintelligenz den richtigen Leitmotiven und Leitfiguren folgt. Das bestätigt indirekt auch der Psychoanalytiker, auf dessen Coach so mancher Gestalter der modernen Finanzwelt Platz nehmen sollte. Zitat:

Richter: Die Männer haben Angst, ihre Dominanz zu verlieren und unterdrücken vielfach schon die eigene moralische Sensibilität, um nicht als weichliche Gutmenschen zu erscheinen. Gerissenheit, Habgier und Egoismus werden in unserer Gesellschaft als Erfolgsfaktoren angesehen. Güte, Großzügigkeit, Ehrlichkeit stehen für Versagen. Wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen in der Finanzindustrie haben, dann wird sich das ändern. Dann stehen die notwendigen Finanzmarkt-Regeln in Zukunft nicht nur auf dem Papier, sondern werden auch befolgt. Dann könnte Adam Smiths Vision der Marktwirtschaft Wirklichkeit werden.

Unter welchen Voraussetzungen ändert sich tatsächlich etwas in der Bankenindustrie? Denn weder Beratungsprotokolle, noch die nicht zu praktizierende Umkehr der Beweislast im Beratungsgespräch weisen den Weg in die Zukunft. Auch eine Produktkennzeichnung (Finanz-TÜV) in mehrere Kategorien wie „riskant“, weniger riskant und sicher, erscheint kaum praktikabel und durchsetzbar.

Sprich: Ist das Umschwenken von der Provisions- zur  Honorarberatung wirklich ein gangbarer Weg in die Zukunft? Und wenn ja, wie sähe der steinige Weg dahin aus? Einfach oben einen kurzen Kommentar hinterlassen.

 

 

Written by lochmaier

September 14, 2009 um 7:14 am

Veröffentlicht in Uncategorized

2 Antworten

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  1. […] Alles klar? Das klingt gut – aber wie ich schon in einem früheren Beitrag gezeigt habe – alles ist nur ein eleganter Verschiebebahnhof der Kosten vom einen […]


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