Social Banking 2.0 – Der Kunde übernimmt die Regie

Ergo Direkt Versicherungen 2.0: Radikalkur mit jugendlich-lässigem Imagewechsel?

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Tatsächlich bemühen sich jetzt auch die konservativ angehauchten deutschen Versicherer um ein neues zeitgemäßes Image. Schließlich ist an einer Versicherung kaum etwas wirklich spannend und sexy. Das soll sich jetzt ändern. Schließlich tummeln sich die Kunden der Zukunft heute im Netz und bei diversen sozialen Communities. 

Aber: In Folge der Finanzkrise liefen vielen nicht nur die Kunden davon, auch die Margen nahmen die gleiche Richtung. Denn viele Produkte halten kaum das, was sie versprechen, was sich unschwer aus den Ergebnissen von Verbraucherschützern wie der Stiftung Warentest immer wieder erkennen lässt, wenngleich objektive Maßstäbe oft schwierig zu eruieren sind.

Wenn jedoch die Rendite etwa bei diversen Lebensversicherungen abzüglich der Kosten nicht mal jene von Tagesgeldern oder Festzinsanlagen erreichen, dann spätestens läuten bei den jungen und kritischen Konsumenten die Alarmglocken. Wie sagte schon der Dichter Mark Twain: Versicherungen sind Institutionen, die bei Sonnenschein Regenschirme ausgeben und diese wieder einsammeln, wenn es beginnt zu regnen.

Nun gilt es natürlich genauer zu differenzieren, denn Versicherung ist nicht gleich Versicherung. Um aber genau diesem negativen Image der gesamten Branche mediale Einhalt zu gebieten, haben sich jetzt die Ergo Direkt Versicherungen etwas ganz Besonderes einfallen lassen, nämlich einen Markenschwenk in Richtung Web 2.0. Es lohnt sich wirklich, falls nicht schon zwangsweise vor der ARD-Tagesschau geschehen, sich diese beiden Fernsehspots einmal in Text und Bild genauer anzusehen:

Also – eigentlich kann man über die feine und ganz hippe Wortwahl (fast) nur begeistert sein, angesichts des rhetorischen Feuerwerks, mit denen die Ergo Direkt Versicherungen  in der neuen Version 2.0 jedem Kritiker den Wind aus den Segeln zu nehmen vermag.

Aufgrund der medialen Sympathieträger dürfte das werbliche Kalkül sogar zum Teil aufgehen. Obwohl als Werbeträger das eher verrruchte Image einer (Ex-)Schauspielerin aus der ARD Daily Soap „Verbotene Liebe“ nicht unbedingt als seriös einzustufen wäre. Aber das ist schließlich Schnee von gestern.

Also: Wir werden jetzt plötzlich nicht mehr „verunsichert“, sondern „versichert“. Das wäre nun wirklich (k)ein bahn brechender Paradigmenwandel. Nun wollen wir der Branche das Geschäft nicht gleich ganz madig machen. Natürlich machen Versicherungen an der richtigen Stelle durchaus Sinn.

Aber es gibt doch zu bemerken, dass die Produkte oftmals ähnlich intransparent und Provisions orientiert ausgerichtet waren und sind als jene der Banken. In der Tat, wir stimmen Ergo zu, mehr Transparenz wäre auch hier gefragt, und genau dies suggerieren die beiden Fernsehspots oben, doch stimmt die neue Philosophie mit der Realität überein?

Bei Ergo Direkt gibt es Zahnzusatzversicherungen, Pflegetagegeldversicherungen, Risikolebensversicherungen, Kapitallebensversicherungen, Hausrat und Haftpflicht und so einges ander mehr, was man sich auf den Internetseiten gerne mal anschauen kann.

Es handelt sich hier also um die üblichen Standardprodukte, die in den Tests von Verbraucherschützern teilweise gar nicht einmal schlecht abgeschnitten haben, also keine komplexen Finanzprodukte wie Lebensversicherungen. Insofern also Entwarnung für die mehreren Millionen Kunden, die sich dort tummeln.

Über den Hintergrund der Werbekampagne, die aus Karstadt Quelle Versicherungen jetzt die neue Namensgebung hervorgebracht hat, informiert die Tageszeitung die WELT.

Den zweiten Werbespot, der den gewagten literarischen Drahtseilakt zu Michael Endes Momo (den Zeitdieben) wagt, analysiert das Branchenblatt horizont.net:

Dass die Figur „Momo“ aus dem gleichnamigen Jugendbuchklassiker von Michael Ende in dem von Aimaq & Stolle in Berlin entwickelten Film aufgegriffen wird, ist erwähnenswert. Nach Angaben der Agentur ist es das erste Mal, dass die Erbengemeinschaft von Michael Ende der Nutzung des Namens „Momo“ für Werbung zugestimmt hat. Das Konzept der Kampagne und die Umsetzung von Regisseur Simon Verhoeven hätten diese Premiere ermöglicht, heißt es in der Mitteilung von Aimaq & Stolle.

Quelle: horizont.net

Und weiter geht es jetzt ganz auf Augenhöhe mit dem Kunden „webzwonullig“ unter dem Motto „Versichern heißt verstehen“: Denn geplant sind immerhin neben klassischer Print- und Fernsehwerbung auch flankierende Social Media Aktivitäten, für die eigens die Plattform http://www.millionen-gruende.de/ eingerichtet wurde.

Dort können und sollen sich bislang passive Kunden und Verbraucher mündig äußern dürfen, etwa in Video- und Textbotschaften zur Frage, was sie sich von einer Versicherung wünschen (noch spannender wäre die Frage, was sie sich nicht wünschen).  Was passiert bei ganz konkreten Kommentaren, die nicht dem Firmenideal entsprechen?

Schaut man sich die Einstiegsseite genauer an, so wird deutlich, dass es in erster Linie um die werbliche Ansprache geht, die mit einem Gewinnspiel zum Mitmachen auch gleich flugs prominent an der virtuellen Eingangstüre postiert wurde. Wir bilanzieren: Social Media = ein Gewinnspiel, plus ein paar positive Testimonials – und der Link zur Internetseite von Ergo Direkt?

Das wäre schade, denn spätestens an dieser Stelle wird der kurz gesprungene strategische Ansatz deutlich, der das teure Geld doch bei den klassischen Werbekanälen belässt. Offensichtlich führt hier doch ein geiziges Social Media Budget die Regie. Auch auf der Homepage der Ergo sucht man nämlich bislang Social Media Kanäle vergeblich, es bleibt bei der weiterhin zentral gesteuerten Kundenkommunikation via Kontaktformular oder Hotline.  

Finance 2.0 wirft in einem Vergleich dazu passend die nicht ganz unwichtige Frage auf: „Wieso fragen mich Banken bei der Eröffnung eines Kontos nach der Telefonnummer und nicht nach einer Kontaktmöglichkeit, die in meinem täglichen Leben viel wichtiger ist, z.B. twitter?“

 Und Thorsten Hahn vom Bankingclub legt noch eine Schippe drauf und stellt nüchtern fest: „Social-Media-Marketing ist aber mehr als das Scannen des Web´s nach positiven und negativen Reaktionen der Kunden über den Kanal Internet. Social-Media-Marketing hat auch nichts mit entgeltlichen Produkt-Placement im Blog eines Scene-Bloggers zu tun.“

Den Machern von Ergo als Einstiegslektüre empfohlen werden könnte etwa das neue Buch von Klaus Eck: Transparent und glaubwürdig – Das optimale Online Reputation Management für Unternehmen, es enthält vor allem viele nützliche Checklisten. Mehr Infos dazu via PR-blogger.

Ein Zitat aus dem Vorwort: „Für Unternehmen reichten in der Vergangenheit Massenkanäle für die Marken- und Unternehmenskommunikation nach dem Push-Prinzip aus… Heute müssen Unternehmen aktiver und transparenter kommunizieren, um ihr Zielpublikum zu erreichen. Die Zielgruppen der Unternehmen konsumieren heute weniger tranditionelle Medien und bewegen sich stattdessen im Internet“, betont Klaus Eck. 

Zurück zur „Versicherung 2.0“ – Auch die Facebook-Seite von Ergo zeichnet sich bis dato nicht gerade durch eine große Meinungsvielfalt aus. Fast in jedem Satz taucht der Begriff „Gewinnspiel“ aud. (Hoffentlich offen moderierte) Diskussionen auf dem Infoboard finden bislang noch nicht statt.

Eine Präsenz der Ergo Direkt Versicherungen 2.0 in Twitter sucht man bislang vergeblich. Es geht den Machern folglich vor allem um „trendige“ Werbung, statt um eine neue Kommunikationskultur der Marke Versicherung 2.0. Wir lassen uns aber gerne im Laufe der Zeit mit „Millionen Gründen“ vom Gegenteil überzeugen. 

Bis dies der Fall sein wird, kehren wir aber lieber zu Michael Endes Original von Momo zurück, in dem die Arbeit der „Zeitdiebe“ – der so furcht erregenden Herren in grauen Anzügen – beschrieben wird.

Der nun folgende Trailer zeigt, dass man auch als gemächliche Schildkröte ganz gut im Leben vorwärts kommen kann, statt so aufgeregt-cool durchs Bild zu rennen, wie die beiden Protagonisten der obigen Werbespots der Ergo Direkt Versicherungen 2.0:

Written by lochmaier

August 23, 2010 um 7:07 am

Veröffentlicht in Uncategorized

7 Antworten

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  1. Hallo Herr Lochmaier,
    dass Sie sich so ausführlich mit ERGO und ERGO Direkt auseinandersetzen, freut uns natürlich. Schade nur, dass da so einiges durcheinandergeht: ERGO Direkt ist die Direktversicherungstochter von ERGO. Als solche sind wir selbstverständlich mit Social Media vertraut: zwei, drei Tweets am Tag dürfen´s schon sein. Und auch unsere Facebook-Seite ist nicht so richtig schlecht. Die große Werbekampagne, die derzeit zu sehen ist, stammt von unserem Mutterkonzern ERGO – genauso wie die Seite millionen-gruende.de. Dabei geht es weniger um einen MArkenschwenk Richtung Web 2.0, sondern darum, den Kunden zuzuhören. Das tut ERGO Direkt eben auch – und vielleicht schauen Sie einfach mal bei uns vorbei. ERGO Direkt würde sich freuen.
    Frank Roth, Leiter Unternehmenskommunikation ERGO Direkt

    Frank Roth

    August 23, 2010 at 8:00 am

    • Hallo Herr Roth,

      danke für den interessanten Kommentar mit einer Präzisierung, es gibt noch einen weiteren ganz aufschlussreichen Leserkommentar, den Sie sich mal anschauen sollten.
      In der Tat wäre es wünschenswert, wenn es hier nicht vielstimmige „Fischer-Chöre“ gäbe (die einen bleiben bei zentralem Branding, die anderen sind offener = Ergo Direkt), sondern ein stimmiges Gesamtkonzept vorherrrschte, schließlich sollten Tochter und Mutter auch in der Familie zusammen harmonieren, sonst hat die Tochter kein Geld mehr zum Ausgeben, geschweige denn die Phantasie, wofür sich dies mit sinnvollen Mitteln und Zielen bewerkstelligen ließe.

      Viel Erfolg weiterhin – der Ansatz beim kleineren Familienmitglied scheint produktiv und richtig angesagt

      lochmaier

      August 23, 2010 at 12:58 pm

  2. schöner Artikel, gut geschrieben. In Sachen „nur Fassade“ und „Social Media hat etwas mit Substanz, Durchhaltevermögen und Mut zu tun“ hatte ich auf youtube im Brandchannel der Ergo Versicherung den 2. TV Spot einfach mal lustig drauflos kommentiert mit: „Also ich sehe hier mindestens 4 graue Herren“ gefolgt von dem Link auf ergo.de wo das Management vorgestellt wird (http://www.ergo.de/de/Unternehmen/Unternehmen/Unternehmensprofil/Vorstand)
    Mein Kommentar hat es leider nicht durch die „interne Social-Media Prüfung“ geschafft…das Kommentar wurde nicht freigeschaltet. (einen Scrennshot habe ich allerdings gemacht, mit meinem Kommentar .. ;-))
    Das hat mit Social Media nichts zu tun. Ergo lässt sich demnach getrost in die Ablage „Werbung“ ablegen…
    Schade eigentlich, denn würde das Thema richtig angegangen und auch durchgezogen werden, für eine absolute Alleinstellung unter den deutschen Versicherungen sorgen.

    manuelstolte

    August 23, 2010 at 12:29 pm

  3. […] und Unternehmen verbunden. Hier mangelt es nach wie vor an der Fähigkeit zum Verstehen, wie Lothar Lochmair recht treffend an einer Kampagne der Ergo Gruppe […]

  4. […] z.B. bei der Ergo Versicherung, über deren interaktive Avancen ich erst vor kurzem berichtet habe, so auch bei Deutschlands größter Direktbank Ing-Diba. Wo früher noch mit der schieren Anzahl […]

  5. […] Lesen Sie auch was Lothar Lochmaier am Beispiel der Ergo Gruppe dazu sagt. […]

  6. […] Ergo Direkt Versicherungen 2.0: Radikalkur mit jugendlich-lässigem Imagewechsel? […]


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